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Geschichten

Hören darf nicht anstrengend sein

Geduld

Hören und Sehen sind unsere wichtigsten Sinne. Wenn es mit dem Sehen nicht mehr so klappt, meist ab dem 40. Lebensjahr, greifen wir bereitwillig zur Brille. Wer es dezenter möchte oder weil Brillen ihm nicht stehen, der nimmt unsichtbare Kontaktlinsen.
Niemand käme auf die Idee, eine Brillenträgerin oder einen Brillenträger deswegen für behindert, alt oder weniger leistungsfähig zu halten. Im Gegenteil, gleich mehrere Untersuchungen haben schon lange festgestellt, dass Menschen mit Brille für besonders intelligent gehalten werden. Kein Wunder also, dass sich manch einer eine Brille mit Fensterglas aufsetzt, nur um die Brille als modisches Accessoire zu nutzen. Man sieht ja beispielsweise auch sehr viele Menschen, die eine chice Sonnenbrille tragen, obwohl die Sonne gar nicht besonders stark scheint.

Mir ist aber noch keiner begegnet, der ein Hörgerät trägt, um besonders zu sein. Nun gut, das liegt vielleicht auch daran, dass man heutzutage Hörgeräte nicht mehr auf den ersten Blick sieht. Sie sind klein und diskret geworden.

Aber eins wird auch klar: Der Mensch ist eher bereit, eine Brille auszusetzen, als ein Hörgerät zu tragen.

Hier spielt falsche Scham eine Rolle und die teilweise unnötigen dummen Kommentare der anderen Menschen. Auch ist die Funktion von Brille und Hörgerät in einem Punkt (und sowieso) sehr unterschiedlich. Sieht man auf den ersten Blick irgendetwas nicht gut, kann der Brillenträger durch eigenes Tun die Situation verbessern, beispielsweise indem er näher herantritt, oder den Gegenstand vor die Augen hebt.
Der Hörbeeinträchtigte kann das nicht. Hat er etwas nicht richtig gehört, kann er nicht durch eigenes Tun nachträglich für eine Verbesserung der Situation sorgen, beispielsweise indem er nochmal hinhört oder mit dem Ohr näher an den Sprecher herangeht.
Gesagt ist gesagt und dem Schwerhörigen bleibt nichts anderes übrig, als nachzufragen.

Dieses ständige Nachfragen ist dem Schwerhörigen aber unangenehm und es bremst die Unterhaltung. Der Schwerhörige konzentriert sich also mehr, um besser zu verstehen.
Diese ständige Konzentration ist aber extrem anstrengend. Im Kopf herrscht Stress.

Schwerhörige finden Unterhaltungen ermüdend. Gerade Ältere vermeiden manchmal ganz bewußt Gesprächssituationen und sind froh, wenn niemand sie anspricht.
Das führt auf Dauer ganz allmählich zur sozialen Isolation.

Eine schwerhörige alte Dame, die wir begleiten, sagte uns: „Am Anfang ging ich bewusst in der Mittagszeit einkaufen. Da wusste ich, dass meine ganzen Bekannten schon zu Hause sind und kochen. Auf diese Weise ersparte ich mir umständlich Unterhaltungen. Später habe ich im Flur meiner Wohnung immer erst gelauscht, ob jemand im Treppenhaus ist. Erst wenn ich keine Schritte hörte, bin ich rausgegangen. Unterhaltungen mit anderen Menschen waren mir einfach zu anstrengend. Zu den Treffen meines früheren Kaffeekränzchens bin ich gar nicht mehr hingegangen. Jede meiner Freundinnen hat irgendeine Krankheit. Ärzte, Medikamente und Apotheken, das waren ihre Themen. Erstens habe ich nur die Hälfte verstanden und zweitens wurde meine Hörbehinderung gar nicht ernst genommen.“

Die alte Dame hat sich stückweise komplett aus dem sozialen Leben zurückgezogen. Früher war sie aktiv und berichtet uns von einem selbstbestimmten, abwechslungsreichen Leben im Alter.
Doch am Ende ihrer „Schwerhörigenkarriere“ saß sie nur noch daheim. Das Leben war bestimmt von den Mahlzeiten, den Schlafpausen und dem Fernsehprogramm.

Erst als die Frau eine unverbindliche Einladung zu einem Hörtest mit Kaffee und Kuchen im Briefkasten fand, konnte sie sich überwinden, mal zu einem Hörakustiker zu gehen.
Dort traf sie auf eine Handvoll gleichgesinnter Schicksalsgenossinnen und natürlich bekam sie, wie fast alle anwesenden Damen und Herren, die Diagnose „Schwerhörig“.

Es dauerte dann nicht mehr lang, bis die Frau ihre ersten Hörgeräte hatte. Drei Wochen hat es gedauert, bis sie damit zurecht kam: „Am Anfang war vor allem das laut und deutlich, was ich gar nicht hören wollte. Aber dann kam ich immer besser mit den Hörgeräten zurecht. Besonders praktisch finde ich, dass die so einfach zu bedienen sind. Ich habe kein Interesse daran, komplizierte Technik zu bedienen. Heute kann ich mir das gar nicht mehr vorstellen, wie das vorher ohne Hörgeräte gewesen ist. Ich möchte sie nicht mehr missen.“

Jetzt gliedert sich die Dame langsam wieder in die Gesellschaft ein. Sie trifft sich wieder im Café mit Bekannten und geht auch wieder zum Seniorensport.

Schlecht hören isoliert!

Bild: Pixabay

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Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 22. April 2024 | Peter Wilhelm 22. April 2024

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