Ein typischer Fall: Frau Sieglinde Tombrak ist 51 Jahre alt und arbeitet als Sekretärin in einem metallverarbeitenden Betrieb. Die 51-jährige wurde von Freundinnen und Kollegen mehrfach darauf angesprochen, dass sie offenbar schlecht hört. Anfangs überwogen Scham und Ablehnung, doch dann ging Frau Tombrak zu einem Hörakustiker und lies einen Hörtest machen. Nach dem Beratungsgespräch ging Frau Tombrak mit einem Angebot über 5.230 Euro für Hörgeräte nach Hause. Ist das normal?
Kassenhörgeräte stehen jedem zu
Ja, das ist die Normalität in Deutschland.
Die Krankenkassen haben mit den Hörakustikern Verträge über die Versorgung Schwerhöriger mit Hörgeräten abgeschlossen. Hierbei werden sehr gute digitale Hörgeräte mit 3 Hörprogrammen, 4 Kanälen, Rückkopplungsunterdrückung und guter Hörverstärkung als sogenannte Kassengeräte abgegeben.
Der Katalog der Mindestanforderungen an diese Geräte wurde seinerzeit unter Beteiligung von Schwerhörigenverbänden erarbeitet. Für die allermeisten schwerhörigen Menschen reichen diese Kassengeräte auch aus.
Diese Geräte können gesetzlich Versicherte kostenlos erhalten, es wird lediglich eine Zuzahlung von 10 Euro pro Hörgerät fällig.
Hörakustiker bieten aber über die Kassenhörgeräte hinaus auch noch besser ausgestattete Hörgeräte an, für die der Kunde etwas zuzahlen muss. Diese Zuzahlung kann 100 Euro sein, aber auch bis zu mehreren tausend Euro pro Ohr reichen.
Hochwertige Hörgeräte sind besser
Die teureren Hörgeräte haben durchaus ihre Berechtigung. Sie sind häufig chicer, kleiner und stets komfortabler. Durch noch mehr Kanäle und Programme bieten sie auch einen besseren Hörkomfort.
Abgesehen davon, dass die modernsten digitalen Premiumgeräte auch multimediafähig sind und beispielsweise auch das drahtlose Telefonieren ermöglichen, sind sie noch besser auf das Gehör einstellbar.
Außerdem bieten höherwertige Hörgeräte Programme und Technologien, die auch schwierigste Hörsituationen bewältigen können sollen.
Trotzdem reicht für den normal schwerhörigen Menschen ein Kassenhörgerät meistens aus. Wer sich dann für ein teureres Hörgerät entscheidet, tut dies aus freien Stücken.
Hörakustiker übernimmt den Formularkram
Wer mit einer ärztlichen Versorgung zum Hörakustiker geht, bekommt meist auch ein Kassenhörgerät vorgestellt. Wir würden uns wünschen, dass das mit mehr Enthusiasmus geschehen würde. Dieser gewünschte Enthusiasmus wird aber vom kaufmännischen Denken etwas gebremst, denn mit den Kassenhörgeräten ist nicht viel zu verdienen.
Danach erhalten die Kunden Hörgeräte zur Probe und zwar in aller Regel Geräte aus dem mittel- oder hochpreisigen Bereich.
Hierfür lässt sich der Hörakustiker neben der Datenschutzerklärung und der Empfangsbescheinigung für die Leihhörgeräte auch eine sogenannte Mehrkostenerklärung unterschreiben.
darin bestätigt der Kunde, dass er aus freien Stücken auf die Versorgung mit einem als Sachleistung kostenlos erhältlichen Hörgerät verzichtet und stattdessen freiwillig ein höherpreisiges haben möchte.
Das ist Ihr gutes Recht und es ist das gute Recht des Hörakustikers, sich das unterschreiben zu lassen.
Ihnen bringt das den Vorteil, dass der Hörakustiker in Windeseile mit der Krankenkasse den ganzen Formularkram erledigen kann. Sie haben dann in den allermeisten Fällen damit gar nichts zu tun.
Nicht für jeden reichen die Kassengeräte
Anders sieht das aus, wenn der Hörverlust nicht „normal“ ist. Viele Menschen haben Hörschäden, die durch die Kassenhörgeräte nur unzureichend versorgt werden können. Oder sie arbeiten in Berufen, die besondere Anforderungen an das Hören stellen, bzw. durch ein lärmendes Umfeld die Kassenhörgeräte überfordern würden.
Was viele nicht wissen, und was Ihnen oft die Hörakustiker gar nicht erzählen: Sie haben über die kostenlosen Basishörgeräte immer einen gesetzlichen Anspruch auf die Hörgeräte, die für Sie medizinisch notwendig sind. Das können durchaus viel teurere Geräte sein.
Die Krankenkassen sind aus verständlichen Gründen zunächst immer der Auffassung, die von ihnen zur Verfügung gestellten Sachleistungs-Hörgeräte (Kassenhörgeräte) würden alle notwendigen Voraussetzungen erfüllen.
Das ist aber eben nicht immer der Fall!
Die Mehrkostenerklärung ist dann schädlich
Wie oben bereits ausgeführt, können medizinische Erfordernisse und berufliche Anforderungen ein höherwertiges Hörgerät notwendig machen.
In diesem Fall, wenn Sie also die Kostenübernahme für eine höherwertige Hörgeräteversorgung anstreben, sollten Sie die Mehrkostenerklärung auf gar keinen Fall unterschreiben!
Die Verbraucherzentrale sagt dazu eindeutig:
Menschen mit Hörschwäche sollten sich von einem Akustiker nicht zur Wahl eines Geräts mit hohem Eigenanteil drängen lassen. Die Krankenkassen sind verpflichtet, ihren Versicherten ein Hörgerät zur Verfügung zu stellen, das medizinisch erforderlich ist. In der Regel reichen Kassengeräte aus, bei denen kein Eigenanteil zu leisten ist.
Kann dem Versicherten kein Gerät angeboten werden, welches den medizinischen Bedarf abdeckt, sollte er umgehend Kontakt mit der Krankenkasse aufnehmen.
Entscheiden sich Betroffene aus medizinischen Gründen für ein Gerät, das nicht aufzahlungsfrei ist, sollten sie immer einen Antrag auf Übernahme der Mehrkosten bei ihrer Krankenkasse stellen.
Die Akustiker legen den Versicherten zwar eine sogenannte „Mehrkostenerklärung des Versicherten“ vor, die sie unterschreiben sollen. Obwohl der Versicherte hierbei auch unterschreibt, dass er die Mehrkosten selber trägt, sollte er bei medizinischer Notwendigkeit in jedem Fall einen Antrag bei der Krankenkasse stellen. Quelle: Verbraucherzentrale
Fazit: Es lohnt sich
Natürlich wird sich die Krankenkasse bei einem solchen Begehren zunächst querstellen. Beziehen Sie Ihren HNO-Arzt und den Hörakustiker mit ein.
Beharren Sie auf Ihrem Recht und lassen Sie sich beim VdK, den Sozialverbänden, Schwerhörigenverbänden und ggfs. einem Anwalt beraten.
Wer ein höherwertiges Hörgerät haben möchte, weil es kleiner, hübscher oder multimedial leistungsfähiger ist, der wird es auch in Zukunft (abzüglich des Kassenbetrags) selbst bezahlen müssen.
Wer aber so hörgeschädigt ist oder es beruflich benötigt, dass ein Kassengerät nicht ausreichend ist, der hat einen Anspruch auch auf teurere Hörgeräte.
Im Falle der 51-jährigen Frau Tombrak ist es so, dass ihre Schwerhörigkeit mit einem Kassengerät nicht versorgt werden konnte. Sie hatte Schwierigkeiten im Großraumbüro ihre Kollegen zu verstehen. Auch beim Telefonieren hatte sie Probleme. Vor allem aber wenn sie in Konferenzen war, hatte sie so gut wie kein Sprachverstehen.
Das haben Hörakustiker und HNO-Arzt auch entsprechend bescheinigt. Mit diesen Unterlagen ging die Sekretärin persönlich zur Geschäftsstelle ihrer Krankenkasse.
Dort wurde weitere Formulare ausgefüllt und man verhielt sich sehr neutral. Eine Woche später hielt sie eine Absage der Krankenkasse in Händen. Die normalen Kassenhörgeräte würden ausreichen, schrieb die Kasse.
Dagegen legte Frau Tombrak Widerspruch ein.
Sie wurde dann zum medizinischen Dienst einbestellt und zu einem HNO-Facharzt, der ein Gutachten für die Krankenkasse erstellen sollte.
Erneut lehnte die Krankenkasse den Anspruch der 51-jährigen ab. Hierauf legte Frau Tombrak abermals Widerspruch ein und drohte an, vor dem Sozialgericht auf Zahlung zu klagen.
14 Tage später hieß es dann, dass die Kasse „nach nochmaliger sorgfältiger Prüfung“ die höherwertigen Hörgeräte bezahlen wird.
Hinweis:
Diese Einschätzung gibt nur persönliche Meinung und Erfahrungen wieder. Vor Entscheidungen in Rechts-, Steuer- und Medizinfragen bitte immer eine Fachperson fragen. Das ist günstiger als Sie denken. Verlassen Sie sich nie auf Wissen, das Sie sich nur im Internet zusammengefischt haben!
Foto: Pix
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Schlagwörter: Kostenübernahme für teure Hörgeräte