Eine junge Hörakustikerin war heute bei uns in der Redaktion. Sie erzählte ganz begeistert von ihrem Beruf und auch die Eindrücke von der Schule in Lübeck waren noch ganz frisch.
Nun steht sie am Anfang ihres Berufslebens, in das sie mit viel Enthusiasmus gestartet ist. Doch mit dem Gesellenbrief stand auch gleich eine berufliche Veränderung an. Ihr Meister verkaufte den Betrieb an eine Firma.
Der neue Chef, ein Filialleiter, übernahm das gesamte Personal. Darüber war Gabi, nennen wir sie mal so, sehr froh.
Gabi: „Ich hatte schon befürchtet, dass ich als Küken zuerst gehen muss, wenn Personal eingespart wird. Aber das Gegenteil ist der Fall, es wurden sogar noch drei weitere Leute eingestellt. Zwei davon völlig branchenfremd als Hörberater.“
Durch Gutscheinaktionen und Testhörer-Kampagnen kämen jetzt auch viel mehr Leute ins Geschäft. „Mein alter Chef hat mehr auf zufriedenen Dauerkunden gebaut. Aber jetzt höre ich nur noch zwei Sachen ‚Nulltarif‚ und ‚Provision‘. Mit dem Nulltarif wird überall geworben, im Schaufenster, in Anzeigen und auf allen unseren Papieren. Und die Provision, das ist das Druckmittel für die ganzen Mitarbeiter.“
Die neue Firma zahlt einen Teil des Gehalts als Provisionszahlung aus. Das kennt man ja aus vielen verkäuferischen Berufen. So werden die Verkäufer angestachelt, mehr und teurer zu verkaufen.
Doch wie vereinbaren sich die Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln und das Streben nach Gewinn miteinander?
Der Idealfall wäre so:
Der Patient bekommt vom Arzt eine Verordnung über Hörgeräte. Der Patient geht zum Hörakustiker und ist ab sofort kein Patient mehr, sondern Kunde.
Der Hörakustiker schaut sich den Befund an, macht eigene Untersuchungen und schlägt dann das am besten geeignete Hörgerät vor.
An diesem Hörgerät wird der Kunde trainiert und dieses Hörgerät wird optimal eingestellt.
Die Kosten hierfür übernimmt komplett die Krankenkasse.
Um es gleich vorweg zu sagen: Das gibt es auch genau so und viele Hörakustiker arbeiten nach eben dieser Methode.
Aber die Realität kann auch etwas anders aussehen:
Der zum Kunde gewordene Patient geht zum Hörakustiker und dieser legt ihm ein Hörgerät der zuzahlungspflichtigen Mittelklasse von einer ganz bestimmten Firma vor. Es ist dies die Firma, die ihm die besten Konditionen einräumt. Fragt der Kunde nach Nulltarif-Hörgeräten, wird ihm ein älteres Modell von noch recht großer Bauart gezeigt.
Wie dann argumentiert werden soll, sagt uns Gabi:
„Es wurde darauf geachtet, dass wir immer nahezu wörtlich zu den Kunden sagen: ‚Das hier sind die Kassengeräte. Es gibt ja auch Leute, denen ihre Gesundheit nichts wert ist. Und für Hartz-IV-Empfänger muss es ja auch was geben. Aber alle anderen Kunden nehmen eigentlich so etwas hier.‘ Und dann kam immer nur ein Tablett auf den Tisch, das Tablett mit den Hörgeräten der Firma XYZ. Es lag dann immer noch das große Kassenhörgerät auf dem Tisch, mit einem langen Schlauch und einer extra großen Vollotoplastik. Daneben dann das XYZ-Tablett mit den ganz kleinen IdO-Geräten und den kleinsten HdO-Geräten. Sie können sich ja vorstellen, für welche Hörgeräte sich die Kunden dann interessierten.
Blieb einer bei den Kassenhörgeräten, dann sagten wir immer: ‚Die sind natürlich auch sehr gut. Das ist ja auch von den Kassen so vorgeschrieben. Wenn Sie nie rausgehen, sich nicht großartig unterhalten, also mehr so für zuhause und im Zweiergespräch, da sind die völlig ausreichend.‘
Und wehe, der Kunde blieb beim Kassengerät oder wollte es gar zur Ausprobe haben. Dann war am Feierabend ein Gespräch mit dem Filialleiter angesagt. ‚Wollen Sie nicht weiterkommen im Unternehmen? Möchten Sie nicht gut verdienen? Wie konnte das denn wieder passieren?‘
Ich sag‘ Ihnen mal was. Auch bei meinem alten Chef wurden eher teure Geräte verkauft und nur ab und zu mal ein Kassengerät. Aber wenn da Kassengeräte verkauft wurden, dann war das für den weitere Ablauf völlig egal. Ich wurde genauso behandelt, als wenn ich ein Premiumgerät verkauft hätte, und vor allem die Kunden wurden immer alle gleich behandelt.
Wir haben aber deshalb weniger Kassengeräte verkauft, weil wir der Meinung sind, dass die Arbeit auch für uns mit ein paar Kanälen mehr einfacher ist, und dass der Kunde mehr von Geräten hat, die ein, zwei Programme mehr bieten.
Jetzt unter dem neuen Filialleiter bin ich eine reine Verkäuferin geworden. Was der Kunde will oder was er eben nicht will, das interessiert nicht. Wichtig ist, dass auf der Rechnung irgendwas mit über 2.000 Euro steht.“
Verkauf und Gesundheit – unvereinbar?
Wir haben oben den „Idealfall“ geschildert. Dieser Idealfall tritt schon deshalb nicht immer ein, weil das menschliche Gehör keine genormte Maschine ist.
Ich weiß jetzt nicht, ob wir auf dem Hörgerätemarkt wirklich an die 2.000 verschiedene Modelle benötigen, aber wir brauchen schon einiges an Auswahl.
Denn die Hörgeräte klingen unterschiedlich, sie gefallen unterschiedlich und sie lassen sich unterschiedlich gut tragen.
Auch die Ansprüche, die ein Kunde an seine Hörgeräte hat, sind teilweise grundverschieden. Ja, und nicht vergessen darf man die Kunden (von denen es gar nicht so wenige gibt), die unbedingt einen bestimmten Betrag investieren wollen, weil sie eben nur das Beste kaufen wollen.
Ein ehrenwertes Handeln des Hörakustikers bewegt sich also immer zwischen diesen beiden Polen.
Einerseits dem Kunden die bestmögliche Hörversorgung zu einem fairen Preis ermöglichen und andererseits Geld zu verdienen.
Und Geld verdienen dürfen Hörakustiker, sie sind kein Wohlfahrtsinstitut oder dazu verpflichtet, immer nur das Günstigste zu verkaufen.
Gute Verkäufe mit schönem Umsatz dürfen gefeiert und belohnt werden. Aber der Verkauf von Kassenhörgeräten oder solchen mit nur geringer Zuzahlung darf nicht abgestraft oder schlecht gemacht werden. Jedes Hörgerät mehr da draußen an den Ohren der Menschen trägt zu besserem Hören in dieser Welt bei.
Bild von ashish choudhary auf Pixabay
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: Kassengeräte nicht gern gesehen