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Urteil: Krankenkasse muss teureres Hörgerät bezahlen

Ein Symbolbild für Gerichtsurteile. Es zeigt zwei Gesetzbücher auf einem Tisch. Daneben liegt ein Richterhammer.

Eine private Krankenkasse wurde dazu verurteilt, einem schwerhörigen Versicherten teurere Hörgeräte zu bezahlen.

Bei privaten Krankenkassen ist alles ein wenig anders, als bei den gesetzlichen Krankenkassen. Im Grundsatz jedoch geht es auch hier darum, dass ein Versicherter zwei Hörgeräte benötigt und die Versicherung dafür bezahlen soll.

Wie so oft gibt es aber Uneinigkeit darüber, welche Hörgeräte zu welchem Preis erstattet werden.

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Die Krankenversicherungen/-kassen stellen sich immer schnell auf den Standpunkt, die gewünschten Hörgeräte würden eine Versorgung über das medizinisch erforderliche Maß hinaus darstellen (Überversorgung, Überbehandlung). Sie verweisen dann auf günstigere Hörsysteme, die bei geringerem Preis einen ausreichenden Ausgleich der Schwerhörigkeit bieten würden.

Das ist vor allem immer dann der Fall, wenn die teureren Hörgeräte Funktionen bieten, die eher im Bereich des Komforts liegen.

Das vorliegende Urteil, das nicht so übertrieben lang ist, lädt zur Lektüre ein. Es zeigt einmal, wie sehr sich Gerichte in die Materie einfuchsen müssen, um zu einer abschließenden Bewertung zu kommen.

Die private Krankenversicherung hat im vorliegenden Fall einen entscheidenden Fehler begangen. Als es darum ging, welche günstigeren Hörgeräte denn anstatt der gewünschten teuren Hörsysteme geeignet wären, hat die Versicherung keine exakten Hörgeräte benannt. Stattdessen hat sie eine Liste mit weit über 100 infrage kommenden Hörhilfen vorgelegt. In dieser waren aber auch Hörgeräte enthalten, die nicht mehr oder noch nicht lieferbar waren. Dem eingeschalteten Gutachter sei es, nach Auffassung des Gerichts, nicht zuzumuten hier nun eine Art Test- oder Vergleichsreihe durchzuführen.

Nach meinem persönlichen Dafürhalten als juristischer Laie hätte die Versicherung bessere Karten gehabt, wenn sie klipp und klar gesagt hätte, welche Hörgeräte konkret ausgerecht hätten, um den Versicherten zu versorgen.

Krankenversicherung – Anpruch für ein bestimmtes Hörgerät bei Schwerhörigkeit und Tinnitus
AG Rottweil – Az.: 2 C 102/16 – Urteil vom 30.01.2018

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten zweier Hörgeräte, Marke O. gemäß dem in der Anlage K1 beigefügten Angebot der Firma A. und O. i. H. v. 4.649,60 € nach dem vereinbarten Bedingungen des Krankenversicherungsvertrages, Vers.-Nr. 551/33847254 zu ersetzen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 44 %, die Beklagte 56 %.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss
Der Streitwert wird auf 2.929,60 € festgesetzt.

Tatbestand
Der Kläger begehrt im Wege der Feststellungsklage von der Beklagten die Verpflichtung, dass ihm die Kosten für zwei Hörgeräte gemäß dem Angebot der Optikerfirma A. und O. vom 30.04.2015 (Anlage K1, Bl. 6) i. H. v. insgesamt 6.262,00 € nach den Bedingungen des zwischen den Parteien bestehenden privaten Krankenversicherungsvertrages erstattet werden.

Krankenversicherung – Anpruch für ein bestimmtes Hörgerät bei Schwerhörigkeit und Tinnitus
(Symbolfoto: Peakstock/Shutterstock.com)
Der Kläger ist bei der Beklagten, einer privaten Krankenversicherung, seit dem 01.11.1999 im Tarif V333S2P (vgl. Nachtrag zum Versicherungsvertrag, Anlage BLD 1, Bl. 61) durch eine Krankheitskostenvollversicherung versichert. Einbezogen in den Vertrag sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB/VV 2009, Anlage K 2, Bl. 8-35). Der Erstattungsumfang für Leistungen bei einer ambulanten Heilbehandlung richtet sich im Tarif V 333S2P nach der Leistungsstufe “ECO” (Bl. 10, 15). In dieser Leistungsstufe betragen die erstattungsfähigen Aufwendungen bei einer ambulanten Heilbehandlung und bei einem Bezug des Hilfsmittels außerhalb des Hilfsmittelmanagements der Beklagten 80% (Bl. 15).

Der Kläger bezog zuletzt vor dem streitgegenständlichen Versicherungsfall im Jahr 2008 ein Hörgerät O. zum Gesamtbruttopreis von 5.554,00 €. Die Kosten wurden von der Beklagten erstattet.

Mit vorgerichtlichem Schreiben bat der Kläger die Beklagte unter Vorlage des Kostenvoranschlages der Firma A. und O. vom 30.04.2015 (Anlage K1, Bl. 6) um die Kostenübernahme für zwei Hörgeräte O. nebst Zubehör und Othoplastik i. H. v. insgesamt 6.262,00 €. Mit Schreiben vom 21.08.2016 (Anlage BLD 4, Bl.73) erteilte die Beklagte eine Kostenzusage i. H. v. 1.300,00 € je Ohr. Eine darüber hinaus gehende Kostenübernahme sowie die Kostenübernahme für das Zubehör lehnte die Beklagte ab. Auch auf das vorgerichtliche Schreiben des Klägervertreters vom 14.10.2015 (Anlage BLD 7, Bl. 78) erfolgte keine weitere Kostenübernahmeerklärung der Beklagten.

Mit der erhobenen Feststellungsklage begehrt nunmehr der Kläger die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Kostenübernahme für die zwei Hörgeräte gemäß dem Angebot der Optikerfirma Auge und Ohr vom 30.04.2015 nebst Zubehör i. H. v. 6.262,00 €. Weiterhin begehrt der Kläger von der Beklagten die Zahlung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

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Der Kläger behauptet, die erhobene Feststellungsklage sei zulässig. Der Kläger habe ein Feststellungsinteresse an der Feststellung der Kostenübernahme für die Hörgeräte. Da es sich bei der Beklagten um eine Versicherung handele, sei auch zu erwarten, dass diese sich an die gerichtlich ausgesprochene Feststellung halte.

Er sei hörgeschädigt und benötige daher die zwei streitgegenständlichen Hörgeräte der Marke O. gemäß dem in der Anlage K1 beigefügten Angebot der Optikerfirma A. und O. vom 30.04.2015. Aufgrund der bei ihm bestehenden Hörbehinderung im Form einer mittel- bis hochgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseitig, welche hauptsächlich die Frequenzen im Hauptsprachebereich betreffe, und im Hinblick auf den bestehenden Tinnitus sei die Verordnung des Hörgerätes medizinisch notwendig.

Auch die Ausstattungsmerkmale des streitgegenständlichen Hörgerätes, nämlich

Raumklang 3.0
Speech Guard
You Matic
Soft Speech Booster
Tinnitus Sound Support
seien medizinisch notwendig. Eine Übermaßbehandlung sei nicht gegeben.

Entgegen der Behauptung der Beklagten sei der Kläger auch nicht auf ein kostengünstigeres Gerät zu verweisen, da die Beklagte hier substantiiert kein Alternativgerät benannt habe.

Die Beklagte habe mit Schreiben vom 21.08.2015 gegenüber dem Kläger die Übernahme der Kosten für das verordnete Hörgerätesystem abgelehnt. Nach Verzugseintritt sei die Beklagte durch Schreiben des Klägervertreters vom 14.10.2015 unter Fristsetzung zum 28.10.2015 aufgefordert worden, eine entsprechende Deckungszusage für den Erwerb der verordneten Hörgeräte zu erteilen. Die Beklagte habe dieses abgelehnt. Die Beklagte habe daher dem Kläger die außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten i. H. v. 571,44 € als Verzugsschaden zu erstatten.

Der Kläger beantragt:

1.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten zweier Hörgeräte, Marke O. nebst Zubehör gemäß dem in der Anlage K1 beige fügten Angebot der Firma A. und O. i. H. v. 6.262,00 € nach den vereinbarten Bedingungen des Krankenversicherungsvertrages, Vers.-Nr. 551/3384…. zu ersetzen.

2.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger als Nebenforderung außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i. H. v. 5.071,44 € nebst Zinsen per anum i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, Klagabweisung.

Die Beklagte behauptet, der Feststellungsantrag könne in der gestellten Form keinen Erfolg haben. Bei der Krankheitskostenversicherung handelt es sich um eine Passivenversicherung. Danach sei der Versicherer verpflichtet, dem Versicherungsnehmer entstandenen Aufwendungen zu ersetzen. Voraussetzung sei damit das Entstehen von Aufwendungen. Allein aufgrund eines Kostenvoranschlages sei der Versicherer nicht leistungspflichtig.

Die medizinische Notwendigkeit der vom Kläger begehrten Hörgeräte O. sei zu bestreiten. Das Hörsystem O. enthalte Ausstattungsmerkmale und Technologien, die im Falle des Klägers nicht notwendig seien. Die medizinische Notwendigkeit der Ausstattungsmerkmale – Raumklang 3.0, Speech Guard, You Matic, Tinnitus Sound Support und Soft Speech Booster sei zu bestreiten. Diese Ausstattungsmerkmale seien als Übermaßbehandlung nicht erstattungsfähig. Damit aber könne der Versicherer seine Leistungen auf einen angemessenen Betrag herabsetzen. Außerdem könne die Hörstörung des Klägers im Rahmen einer vergleichenden Anpassung mit einem anderweitigeren kostengünstigeren Hörsystem ausgeglichen werden. Insoweit sei auf die im Schriftsatz vom 04.07.2017 benannten Hörgeräte und Hörgeräteserien nebst Hilfshilfsmittel Nummer (Bl. 233/237) zu verweisen.

Ein Anspruch auf Erstattung der vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten bestehe nicht. Es fehle an einer Pflichtverletzung der Beklagten. Denn die Beklagte habe jedenfalls ihren Standpunkt nach einer Plausibilitätskontrolle für berechtigt halten dürften. Sollte eine Rechtsschutzversicherung eingetreten sein, läge eine Vermögensminderung nicht vor. Überdies würde insoweit gemäß § 86 VVG eine Aktivlegitimation des Klägers nicht bestehen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Der Kläger wurde im Verhandlungstermin vom 08.04.2016 (Bl. 108/111) angehört. Über die streitigen Behauptungen hat das Gericht Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 06.06.2016 durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Zum Sachverständigen wurde Herr … benannt. Wegen des Ergebnisses dieses Gutachtens wird auf die schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen vom 18.11.2016 (Bl. 153/177) Bezug genommen.

Des weiteren wurde im Wege des ergänzenden Beweisbeschlusses vom 03.02.2017 (Bl. 195/199) durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens des Akustikhörgerätemeisters, Herrn … Beweis erhoben. Zum Ergebnis dieser Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Ausführungen des Sachverständigen … in seinem Gutachten vom 13.09.2017 (Bl. 250/265) sowie auf die ergänzende Anhörung des Sachverständigen im Hauptverhandlungstermin vom 16.01.2018.

Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

I.

Die mit Klageantrag Ziffer 1 erhobene Feststellungsklage ist zulässig, insbesondere besteht ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO.

a. Gem. § 256 Abs. 1 ZPO kann eine Feststellungsklage erhoben werden, wenn das Bestehen eines Rechtsverhältnisses streitig ist und der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Gegenstand einer Feststellungsklage können auch einzelne, sich aus einem umfassenden Rechtsverhältnis ergebende Beziehungen oder Folgen eines Rechtsverhältnisses sowie der Umfang und Inhalt einer Leistungspflicht sein. Dabei kann sich das Feststellungsbegehren auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht, insbesondere auch auf einen streitigen Teil des Vertragsinhaltes beschränken (vgl. BGH, NJW-RR 2012, 1223).

Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis liegt daher auch vor, wenn eine Verbindlichkeit noch nicht entstanden, aber für ihren späteren Eintritt der Grund in der Art gelegt ist, dass die Entstehung der Verbindlichkeit nur vom Eintritt weiterer Umstände oder dem Zeitablauf abhängt (vgl. BGH NJW-RR 2005, 637).

b. Unter Heranziehung dieser Maßstäbe aber ist vorliegend ein besonderes Feststellungsinteresse des Klägers im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO entgegen der Auffassung der Beklagten gegeben.

Dabei verkennt das Gericht nicht, dass nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (Bl. 27) der Versicherungsschutz grundsätzlich darauf gerichtet ist, dass der Versicherer die Kosten einer Heilbehandlung zu erstatten hat. Die Erstattungspflicht setzt daher grundsätzlich zunächst eine Verpflichtung des Versicherungsnehmers voraus. Hat der Versicherungsnehmer insoweit Aufwendungen erbracht und hat er Nachweise über diese Aufwendungen dem Versicherer vorgelegt, so wird erst dadurch die Leistungspflicht des Versicherers gemäß § 7 der AVB (Bl. 28) ausgelöst. Die Krankenversicherung ist in soweit eine Passivenversicherung (vgl. Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 5. Aufl., § 1 MB/KK, Rn 17 ff; § 192 VVG, Rn. 37 ff.). Mithin ist daher grundsätzlich der Versicherungsschutz nicht auf die Zusage als solche, Versicherungsschutz zu gewähren ausgerichtet, sondern im wesentlichen darauf, dass der Versicherer die Kosten der Heilbehandlung zu erstatten hat. Die Erstattungspflicht setzt daher grundsätzlich eine Verpflichtung des Versicherungsnehmers voraus.

Allerdings hat der Kläger im Streitfall den Kostenvoranschlag der Firma A. und O. vom 30.04.2015 bei der Beklagten eingereicht und um eine Kostenzusage gebeten. Grundsätzlich ist mit Einreichung des Kostenvoranschlags ein Nachweis vorgelegt worden, der den Versicherer in die Lage versetzt, das Ob und die Höhe eines Erstattungsanspruches hinsichtlich der begehrten Hörgerät zu prüfen. Aufgrund dessen hatte die Beklagte eine Kostenzusage lediglich i. H. v. 2.600,00 € erklärt und im Übrigen eine Kostenübernahme abgelehnt. Mithin besteht vorliegend ein Streit über den Umfang der Leistungspflicht aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Versicherungsnehmers ist in diesem Fall, wenn der Versicherer Erstattungsleistungen ablehnt, zu bejahen, auch wenn eine Erstattungsverpflichtung des Versicherers noch nicht entstanden ist. Die Erhebung einer Leistungsklage ist – entgegen der Behauptung der Beklagten – vorliegend dem Kläger nicht zumutbar, da diese mit einem ganz erheblichen Kostenrisiko verbunden wäre. Zudem steht zu erwarten, dass die Beklagte als Versicherer aufgrund des Feststellungsurteils leisten wird und somit die Erhebung einer weiteren Leistungsklage nicht mehr notwendig ist (vgl. Zöller, 32. Aufl., § 256 ZPO, Rn. 8).

II.

Die zulässige Feststellungsklage ist jedoch nur teilweise begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagte dem Kläger die Kosten der begehrten Hörgeräte der Marke O. mäß dem Kostenvoranschlag der Firma A. und O. vom 30.04.2015 i. H. v. 4.649,00 € gemäß dem §§ 1, 192 Abs. 1 VVG, § 1 MB/KK i. V. m. den allgemeinen Tarifbedingungen gemäß B 10.3 (Bl. 15) zu ersetzen hat. Denn der Kläger hat nach Durchführung der Beweisaufnahme, insbesondere aufgrund des Sachverständigengutachtens des Hörakustikgerätemeisters … zur Überzeugung des Gerichts bewiesen, dass eine medizinische Notwendigkeit der gewählten Heilbehandlung nach § 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK besteht. Die Beklagte hingegen konnte eine Übermaßbehandlung gemäß § 5 Abs. 2 MB/KK nicht beweisen.

1. Der Sachverständige Professor … hat in seinem Gutachten vom 18.11.2016 (Bl. 173) festgestellt, dass beim Kläger eine Hörstörung von überragender Bedeutung mit Schwerhörigkeit und Tinnitus vorliegt, die ohne Rehabilitation mit geeigneten Hörhilfen zu einer wesentlichen Einschränkung der Teilhabe am privaten und beruflichen Leben führt. Ergänzend führte der Sachverständige Herr … in seinem Gutachten vom 13.09.2017 (Bl. 254) aus, dass aus dem Tonaudiogramm, aufgenommen durch den Hörgeräteakustiker (Bl. 69 der Gerichtsakte), ein Hörverlust hervorgehe, wonach der Kläger an einer mittel- bis hochgradigen Hochtonschwerhörigkeit leide. Der Sachverständige … führte weiter aus (Bl. 257), dass der Kläger ohne Hörgeräte lediglich noch über eine Sprachverständlichkeit mit einem Ergebnis von 45 % verfüge.

Aufgrund all dessen aber liegt ein medizinisch relevantes Krankheitsbild vor, so dass gemäß § 1 MB/KK der Versicherungsfall eingetreten ist und der Kläger einen Anspruch auf die medizinisch notwendige Heilbehandlung gegen die Beklagte hat.

2. Die vom Kläger begehrte Heilbehandlung, nämlich der Einsatz der zwei streitgegenständlichen Hörgeräte, Marke O. ist auch als medizinisch notwendig anzusehen.

a. Eine Heilbehandlung ist medizinisch notwendig, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Vertretbar ist die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung, wenn sie sowohl in begründeter und nachvollziehbarer wie fundierter Vorgehensweise das zu Grunde liegende Leiden diagnostisch hinreichend erfasst und eine ihm adäquate, geeignete Therapie anwendet (vgl. BGH VersR 2003, 581, 584). Der dadurch beschriebene mehrstufige Prüfungsprozess beginnt bei der Frage der Geeignetheit und führt weiter zur Frage der Erforderlichkeit. Letztere kann im Regelfall bejaht werden, wenn eine anerkannte Behandlungsmethode angewendet wird, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen oder zu lindern (BGH VersR 1996, 1224 f). Andererseits ist nicht jede denkbare geeignete Form der Diagnostik oder der Therapie auch tatsächlich erforderlich, um das Behandlungsziel zu erreichen. Das Erforderlichkeitsmerkmal soll den Versicherer davor schützen, Kosten für überflüssige oder nicht ausreichende Behandlungen tragen zu müssen (BGH VersR 2005, 1673; Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 5. Aufl. 2015, § 5 MB/KK, Rn. 90 ff.).

Die Versorgung mit einem Hörgerät ist dabei medizinisch notwendig, soweit sie zur Wiederherstellung und/oder Sicherstellung des grundlegenden Sprachverständnisses dient. Maßgeblich ist die Möglichkeit, die Hörschwäche im Alltag auszugleichen. Darüber hinausgehende Maßnahmen, wie die Erzielung eines besonders hohen Komforts oder einer bestimmten Ästhetik stehen nicht unter Versicherungsschutz. Der Versicherer ist nur zur eingeschränkten Erstattung eine Hörgeräteversorgung verpflichtet, wenn das Gerät Ausstattungsmerkmale enthält, die zur Behandlung der Schwerhörigkeit nicht notwendig sind (vgl. Bach/Moser, a.a.O., § 1 MB/KK, Rn. 102, Stichwort: “Hörgerät”).

b. Unter Beachtung dieser Grundsätze aber hat die Beweisaufnahme vorliegend ergeben, dass das vom Kläger begehrte Hörgerät der Marke O. ta hochgradig geeignet ist, private und berufliche Teilhabe des Klägers zu erzielen, insbesondere, um den Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit auch Beratungsgespräche mit mehreren Kunden gleichzeitig sowie Telefonate, Weiterbildungen und Anwendungsschulungen in kleinen Gruppen zu ermöglichen. Hierauf weist der Sachverständige … in seiner abschließenden Begutachtung vom 18.11.2016 (Bl. 176) hin. Des weiteren ist nach den Ausführungen des Sachverständigen, Professor …, für den Kläger auch das Ausstattungsmerkmalen “Tinnitus Sound Support” medizinisch notwendig, da der Kläger unter einem Tinnitus leidet.

Für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit ist aber nach Auffassung des erkennenden Gerichts – entgegen der Auffassung der Beklagten – sowohl die soziale als auch die berufliche Situation des Klägers im Rahmen der Beurteilung zu berücksichtigen (vgl. Urteil des LG Göttingen vom 20.11.2014 Az. 9 S 16/11, juris Rn. 13 m. w. N., u.a. auf Rogler, juris PR-Versicherungsrecht 1/14 Anmerkung 3; AG Aachen, Urteil vom 08.11.2012, 105 C 1/12 Rn. 21: entgegen LG Düsseldorf, VersR 2013, 1255).

3. Die Beklagte konnte eine Übermaßbehandlung gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 MB/KK nicht beweisen.

a. Zur Beurteilung der Erforderlichkeit ist bei Hörgeräten maßgeblich, ob die angebotenen zusätzlichen Ausstattungsmerkmale zum Erreichen des Sprachverständnisses notwendig sind oder nur dem Komfort dienen: Soweit mit ihnen keine Verbesserung der Hörfähigkeit erreicht wird, ist der Versicherer nicht leistungspflichtig. Beispiele notwendiger Ausstattungsmerkmale sind Mikrofone mit direktionaler Wirkung nach vorn, eine Unterdrückung der Rückkoppelung oder eine begrenzte Zahl einstellbarer Kanäle. Lediglich dem persönlichen Komfort dienen dagegen grundsätzlich Komponenten zum Ausgleich des Raumklangs (Sound Recover), des Telefonieren mit beiden Ohren (Duofon), Bluetooth- Funktionen oder eine automatische Programmverwaltung (vgl. Bach/Moser, a.a.O., § 5 MK/KK, Rn. 120; BGH Urteil vom 22.04.2015 – IV ZR 419/13).

b. Nach den Ausführungen des Sachverständigen für das Hörgeräteakustiker Handwerk, Herrn … in seinem Gutachten vom 13.09.2017 sowie aufgrund seiner ergänzenden Stellungnahme vom 16.01.2018 steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die bestrittenen Ausstattungsmerkmale der streitgegenständlichen Hörgeräte, nämlich die Ausstattungsmerkmale – Raumklang 3.0, Speach Guard, Soft Speach Booster sowie Tinnitus Sound Support – medizinisch notwendig sind und keine Übermaßbehandlung darstellen. Dabei hat der Sachverständige überzeugend ausgeführt, dass der Kläger aufgrund seiner sozialen und beruflichen Stellung auf diese Ausstattungsmerkmale angewiesen ist. Den überzeugenden, in jeder Hinsicht nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Ausführungen des Sachverständigen schließt sich das Gericht an. Auch die Einwände der Beklagten gegen das Gutachten greifen nicht durch und der Sachverständige hat diese in seiner mündlichen Anhörung im Verhandlungstermin vom 16.01.2018 entkräftet. Hinzu kommt, dass auch der Sachverständige … en Tinnitus Sound Support als wesentliches Ausstattungsmerkmal für medizinisch notwendig für den Kläger bedingt durch die Tinnituserkrankung erachtete. Dabei kann es dahinstehen, ob diese Funktion aktiviert wurde oder nicht. Jedenfalls ist diese Funktion nach Angaben des Sachverständigen … im streitgegenständlichen Hörgerät vorhanden.

Soweit der Sachverständige … ausführte, dass das Ausstattungsmerkmal “You Matic” das erforderliche medizinische Maß übersteigt und somit eher einer Komfortbehandlung diene, konnte diese Beurteilung nicht zu einer Herabsetzung des zukünftigen Leistungsanspruchs des Klägers führen, da dieses Ausstattungsmerkmal als Serienausstattung in Hörgeräten vorhanden ist und auch zur Ausstattung von Hörgeräten aus dem niederen Preissegment gehört.

c. Des weiteren hat die Beklagte den Nachweis einer Übermaßbehandlung nicht durch den Verweis des Klägers auf ein Hörgerät aus einem Preissegment, welches im Rahmen der erteilten Kostenzusage von je 1.300,00 € pro Ohr liegt, führen können. Denn Voraussetzung hierfür wäre gewesen, dass die Beklagte ein konkretes Alternativgerät benennt. Eine solche konkrete Bezeichnung eines Alternativgerätes, welches den Sachverständige in die Lage versetzt hätte, eine vergleichende Hörgeräteanpassung durchzuführen, hat die Beklagte aber auch nicht durch den nachgelassenen Schriftsatz vom 04.07.2017 (Bl. 232/238) führen können. Zwar hat in diesem Schriftsatz die Beklagte annähernd 176 Hörgeräte oder Hörgeräteserien sowie die dazugehörigen Hilfsmittelnummern benannt, jedoch mangelt der Vortrag der Beklagten daran, dass kein konkretes Alternativgerät benannt wurde. Es ist nämlich nicht die Aufgabe des Sachverständigen, im Rahmen der Überprüfung einer Übermaßbehandlung den Kläger auf andere Hörgeräte umfassend zu testen (vgl. AG Köln, Urteil vom 12.06.2013 Az. 118 C 56/12). Überdies benannte die Beklagte in Ihrer Auflistung Hörgeräte, die zum Zeitpunkt der Versorgung des Klägers, nämlich am 30.04.2015, entweder nicht mehr erhältlich waren oder zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf dem Markt waren (vgl. Schreiben des Sachverständigen vom 23.05.2017 (Bl. 224/225) sowie Schreiben des Sachverständigen vom 13.07.2017 (Bl. 240/241).

4. Mithin ergibt sich unter Heranziehung des Kostenvoranschlages der Firma A. und O. … vom 30.04.2015 (Anlage K1, Bl. 6) und unter Berücksichtigung der Tarifbedingung B 10.3 (Bl. 15), welche einen Erstattungsanspruch des Klägers i. H. v. 80 % in der Leistungsstufe “ECO” bei einem Bezug außerhalb des Hilfsmittelmanagements der C. vorsieht, der nachfolgende Erstattungsanspruch des Klägers wie folgt:

Kostenvoranschlag vom 30.04.2015 6.262,00 €

abzüglich Zubehör:

Streamer für kabellosen Empfang/PC/Telefon – 260,00 €
Telefonadapter/Sender für Streamer – 190,00 €
Aufwendungsersatzanspruch 5.812,00 €
Davon 80 % gemäß B 10.3 der
Tarifbedingungen im Tarif ECO (Bl. 15) 4.649.60 €
Aufwendungsersatzanspruch 4.649,60 €
In diesem ausgewiesenen Umfang von 4.649,60 € war die Feststellungsklage begründet. Der weitergehender Anspruch auf Feststellung war unbegründet

So besteh kein Anspruch des Klägers auf Erstattung des Zubehörs. Dieser ergibt sich nicht aus den Tarifbedingungen. Denn unter Berücksichtigung der Tarifbedingungen B 10.3 ergeben sich erstattungsfähige Aufwendungen bei ambulanter Heilbehandlung jeweils nur für die Hörgeräte, jedoch nicht für das Zubehör. Mithin war ein Zubehöranspruch i. H. v. insgesamt 450,00 € vom Kostenvoranschlag in Abzug zu bringen.

III.

Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht nicht, da der Kläger seine bestrittene Aktivlegitimation nicht nachgewiesen hat. Eine Rückabtretung des Rechtsschutzversicherers (Bl. 92) wurde nicht vorgelegt.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Der Streitwert war wie folgt festzusetzen:

(6.262,00 € – 2.600,00 € (unstreitige Kostenzusage) = 3.662,00 €) davon: 80% (Feststellungsklage) 2.929,60 €

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