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Migräne durch Hörgeräte? – Eine Leserfrage

Eine Frau mit schmerzvollem Gesicht erleidet eine Migräneattacke

Migräne durch Hörgeräte: Kann das sein? Eine betroffene Hörgeräteträgerin schreibt empört – wir ordnen ein, was dahinter steckt.

„Das ist ja wohl der Hammer! Da verschreibt mir der HNO-Arzt Hörgeräte und ich habe die jetzt vom Hörakustiker bekommen. Weil ich Zusatz wollte, musste ich ordentlich zuzahlen. Auch ein Geschäftsmodell, dass man Zusatz bezahlen muss!!!

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Nun habe ich die Phonak-App auf dem Handy installiert und damit abends beim Fernsehen herumgespielt. Dabei habe ich eine Einstellung gefunden, die ganz okay für mich ist. Am nächsten Tag im Büro hat diese Einstellung aber Migräne bei mir ausgelöst. Es ist doch wohl hammerartig, dass Hörgeräte, die ja einem helfen sollen, nun Migräne auslösen, voll die Aura habe ich bekommen.“

Unsere Antwort: Nicht das Hörgerät macht Migräne – sondern die Reizflut

Zuerst einmal: Ja, das ist ärgerlich. Man freut sich auf besseres Hören, zahlt zu und wird dann erst einmal mit einer Migräne-Attacke „belohnt“. Das fühlt sich falsch an. Trotzdem ist die Erklärung in den meisten Fällen weniger dramatisch, als es wirkt – und vor allem kein Hinweis darauf, dass Hörgeräte grundsätzlich „falsche“ oder „schädliche“ Geräte wären.

Was tatsächlich passiert: Durch die Hörgeräte nimmst du wieder akustische Reize wahr, die dein Gehirn über längere Zeit nur gedämpft oder gar nicht bekommen hat. Viele Betroffene haben sich unbewusst daran gewöhnt, dass die Welt leiser, dumpfer und weniger detailreich ist. Mit den neuen Hörgeräten kommt plötzlich wieder sehr viel Information an – Stimmen, Nebengeräusche, Raumhall, Tastaturklappern, Straßenlärm, Klimaanlage, Drucker, Bürotür, Schritte im Flur. Das kann für das Gehirn anfangs eine echte Reizüberflutung sein.

Hörgeräte lösen keine Migräne aus. Die Migräne ist als Erkrankung schon da – Hörsysteme können aber, wie auch eine neue Brille, flackernde Bildschirme, grelles Licht oder starke Gerüche, eine Attacke anstoßen. Es ist also nicht das Hörgerät „an sich“, sondern die plötzlich veränderte Reizlage, die das Fass zum Überlaufen bringt.

Warum das „Herumspielen“ in der App problematisch sein kann

Du hast dir abends beim Fernsehen mit der App eine Einstellung „zusammengeklickt“, die sich auf dem Sofa gut angefühlt hat. Im Büro sah die Situation aber ganz anders aus: andere Akustik, andere Geräuschkulisse, andere Höranforderungen. Was im Wohnzimmer angenehm ist, kann im Großraumbüro oder im Telefonstress schnell zu viel werden.

Wenn du in der App bestimmte Frequenzen stark betonst oder die Verstärkung insgesamt hochziehst, kann das dazu führen, dass laute oder hochfrequente Geräusche sehr präsent und anstrengend sind. Für das Gehirn, das noch mitten in der Umgewöhnungsphase steckt, ist so eine „selbstgebastelte“ Einstellung mitunter eine Nummer zu groß – und bei einer Person mit Migräne-Neigung kann das dann eine Attacke triggern.

Hörtraining statt Hauruck-Umstellung

Ein wichtiger Punkt: Dein Gehirn hat sich über Jahre daran gewöhnt, einen Teil der „Verstehensarbeit“ auszugleichen – zu raten, zu ergänzen, zu filtern. Mit den Hörgeräten wird plötzlich wieder mehr ankommende Information verarbeitet. Das ist anstrengend, kostet Konzentration und kann eben auch Kopfschmerzen oder Migräneanfälle begünstigen.

Deshalb ist es völlig normal und erwartbar, dass die Eingewöhnung nicht bei allen Menschen gleich glatt verläuft. Manche merken nur etwas Müdigkeit, andere haben abends „vollen Kopf“, wieder andere reagieren empfindlich mit Kopfschmerz oder eben Migräne, wenn sie ohnehin dazu neigen.

Praktische Tipps: So schonst du dein Gehirn am Anfang

  • Trage die neuen Hörgeräte zu Beginn nicht gleich von morgens bis abends, sondern steigere die Tragezeit langsam.
  • Mein persönlicher Erfahrungs-Tipp: Starte mit etwa 3–4 Stunden am Tag am Stück, dann eine Pause ohne Hörgeräte, damit das Gehirn „durchatmen“ kann.
  • Vermeide in der ersten Zeit (wenn möglich) besonders laute und hektische Hörumgebungen – oder nutze dort eine eher „sanfte“ Programmeinstellung.
  • Verzichte zunächst auf extremes Herumprobieren in der App. Lass dir lieber vom Hörakustiker ein gutes Grundprogramm einrichten und, falls nötig, ein eigenes Programm für „TV“ und eines für „Büro“ anlegen.

Ja, das verlangsamt die Eingewöhnung etwas, kann aber helfen, heftige Migräneattacken zu vermeiden. Viele Betroffene fahren mit dieser „sanften Steigerung“ deutlich besser als mit der Brechstangenmethode „gleich 12 Stunden am Tag tragen“.

Wann du unbedingt zum Arzt und zum Akustiker solltest

Wenn die Migräneanfälle:

  • häufiger auftreten als vorher,
  • deutlich stärker werden oder länger anhalten,
  • oder neue, ungewohnte Begleitsymptome auftreten,

dann solltest du unbedingt deinen HNO-Arzt und deinen Hörakustiker hinzuziehen. Der Akustiker kann die Verstärkung anpassen, bestimmte Frequenzen entschärfen oder passende Programme hinterlegen. Der Arzt kann prüfen, ob eventuell andere Auslöser für die Migräne bestehen und ob die Hörsituation nur der „Funke“ war, der das schon vorhandene Pulverfass gezündet hat.

Fazit

Nein, deine Hörgeräte „machen“ dir nicht plötzlich Migräne, die du vorher nicht hattest. Die Migräne war als Disposition schon da – die neuen akustischen Reize können sie aber anstoßen. Das ist unangenehm, aber in der Eingewöhnungsphase nicht ungewöhnlich.

Mit einer behutsamen Steigerung der Tragezeit, sinnvollen Einstellungen (lieber vom Akustiker als per Zufall in der App) und einem wachen Blick auf dein eigenes Befinden lassen sich solche Probleme meist gut in den Griff bekommen. Und wenn doch etwas aus dem Ruder läuft: Bitte nicht still leiden, sondern mit Hörakustiker und HNO offen darüber sprechen. Ziel ist, dass du mit deinen Hörgeräten besser hörst – und nicht, dass du jedes Mal eine Aura befürchten musst, sobald du sie einsetzt.

Noch ein Wort zum Thema Zuzahlung bei Hörgeräten

Als gesetzlich versicherte Person und bei allen privaten Krankenversicherungen sowie bei den Beihilfeversorgern hast Du Anspruch auf eine nahezu kostenfreie Hörgeräteversorgung. Dass Du beim Hörgerätekauf etwas zuzahlen musstest, ist also nicht der Tatsache geschuldet, dass es kein Angebot an Gratis-Hörgeräten für Versicherte gibt, sondern weil Du Dich aktiv für Hörgeräte entschieden hast, die mehr können und damit auch mehr kosten, als die Basisgeräte, die im Normalfall vollkommen ausreichend sind.

Hinweis: Dieser Beitrag ersetzt keine ärztliche Beratung. Bei anhaltenden oder schweren Beschwerden suche bitte unbedingt deinen HNO-Arzt beziehungsweise deine behandelnde Ärztin auf.

Wichtiger Hinweis:

Krankenkassen tragen für ihre Versicherten eine medizinisch notwendige Hörgeräteversorgung ohne Kostenbeschränkung. Aber die Kassen haben mit den Hörakustikern Verträge, nach denen die Hörakustiker zuzahlungsfreie Hörgeräte anbieten müssen, für die lediglich 10 Euro pro Hörgerät Eigenanteil gezahlt werden müssen.

Die Akustiker legen den Kunden eine Mehrkostenerklärung zum Unterschreiben vor. Damit erklärt man, dass man bewusst zuzahlungspflichtige, teurere Geräte haben möchte und die Nulltarif-Hörgeräte von der Kasse nicht will. In diesem Fall zahlt die Kasse nur einen Zuschuss von grob 750 Euro pro Hörgerät. Den Rest (oft viele tausend Euro) muss man selbst bezahlen.

Damit muss sich aber niemand zufrieden geben. Die Abwicklung wegen der Kostenübernahme ist für Nulltarifgeräte und Hörgeräte mit Zuzahlung viel einfacher und reibungsloser, aber Sie haben u.U. einen Anspruch gegen Ihre Krankenkasse (oder den Rententräger) auf teurere und leistungsfähigere Hörgeräte.

Dieser Anspruch muss medizinisch begründbar sein und vor dem Kauf bei der Kasse beantragt werden. Lehnt diese ab, kann man zunächst Widerspruch einlegen und später sogar vor dem Sozialgericht klagen. Die Gerichte entscheiden oft für die Versicherten.

Mehr Informationen erhalten Sie beispielsweise beim Sozialverband VdK und bei den Verbraucherzentralen.

Bildquellen:

  • migraene_800x500: Peter Wilhelm KI

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(©si)