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Hörgerät verloren? Kasse muss bezahlen – Sensationelles Urteil 2021

Hörgerät verloren

Dementer Mensch verliert Hörgerät – muss Krankenkasse Ersatz finanzieren?

Das kann jedem Hörgeräteträger passieren: Man verliert ein Hörgerät. Katastrophe! Die Geräte werden immer kleiner und leichter, und man bemerkt es möglicherweise gar nicht sofort, dass man sein Hörgerät verloren hat. Gerade in der Zeit, als alle Menschen Corona-Schutzmasken trugen, blieben oft die Gummis der Masken an den Hörgeräten hängen. Folge: Die Hörgeräte fielen unbemerkt zu Boden.

Eine besondere Qualität hat das Ganze, wenn der Betroffene auch noch unter Demenz leidet. Möglicherweise ist diese Person gar nicht in der Lage, den Verlust zu verhindern, zu bemerken oder damit umzugehen.

Die gute Nachricht für alle Betroffenen: Gemäß Sozialgesetzbuch hat die Krankenkasse in einem solchen Fall für Ersatz zu sorgen. Dabei spielen Fristen oder die Häufigkeit solcher Vorkommnisse keine Rolle. Das zumindest sagt das Sozialgericht Speyer. Es komme einzig und allein darauf an, dass der Betroffene schwerhörig ist und die Krankenkasse gemäß Gesetzbuch für Hörgeräte zu sorgen hat. Punkt.

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Die DGB Rechtsschutz GmbH berichtet auf ihrer Webseite von einem solchen Fall:

Ein dementer Mann hat sein Hörgerät verloren und begehrt von der Krankenkasse Ersatz. Die lehnt ab, weil sie schon einmal für einen solchen Verlust in die Bresche gesprungen ist. Der Fall kam vor das Sozialgericht Speyer. Es hat mit Urteil vom 19. Februar 2021 entschieden.

Der Mann leidet zum einen an einer beiderseitigen Schallempfindungsstörung, zum anderen an Demenz. Er war auf die Unterstützung durch ein Hörgerät angewiesen. Dieses verlor er 2016. Die Krankenkasse bezahlte ihm damals eine neue Hörhilfe.

Doch im August 2018 kam auch dieses Hörgerät beim Umziehen der Kleidung in einem Krankenhaus abhanden. Es landete in der Schmutzwäsche. Dort fand es ein Pfleger. Er legte das Hörgerät auf den Nachttisch des Versicherten. Wann und wie es von dort verschwunden ist, war nicht zu klären.

Die Krankenkasse weigert sich zu zahlen

Da der Mann unbedingt ein neues Hörgerät benötigte, beantragte er ein solches bei seiner Krankenkasse. Die lehnte eine Kostenübernahme ab und verwies zum einen darauf, dass sie schon 2016 eine neue Hörhilfe bezahlt habe. Außerdem widerspreche eine nochmalige Kostenübernahme dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Zum dritten habe der demente Mensch seine Sorgfaltspflicht in besonders schwerem Maße verletzt. Er habe das Gerät zumindest in eine Verpackung und in die Nachttischschublade legen müssen.

Der Versicherte wehrt sich

Der Schwerhörige kauft sich zunächst auf eigene Kosten ein neues Hörgerät. Dafür bezahlt er 1303 Euro. Hiervon übernimmt die Haftpflichtversicherung der Klinik 594,50 Euro. Gegen den ablehnenden Bescheid der Krankenkasse legt der Versicherte mithilfe von Jurist*innen der DGB Rechtsschutz GmbH Widerspruch ein.

Die Krankenkasse weist den Widerspruch zurück.

Deshalb klagt der Versicherte beim Sozialgericht Speyer. Er möchte erreichen, dass die Krankenkasse ihm die verbleibenden 708,50 € ersetzt.

Die Rechtslage

Nach dem Sozialgesetzbuch V haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, wenn diese im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen. Dieser Anspruch erstreckt sich auch darauf, dass verlorene Hilfsmittel zu ersetzen sind.
Lehnt die Krankenkasse eine solche Versorgung zu Unrecht ab, muss sie dem Versicherten diejenigen Kosten erstatten, die entstehen, wenn er sich das Hörgerät selbst beschafft.

Das Sozialgericht Speyer hatte deshalb zu entscheiden, ob die Krankenkasse die Kostenübernahme zu Unrecht verweigert hat.

  1. Der Kläger hat bereits zum zweiten Mal ein Hörgerät verloren.

    Nach Auffassung des Sozialgerichtes Speyer komme es alleine darauf an, ob eine Versorgung mit dem Hörgerät zum Ausgleich der Behinderung notwendig sei. Keine Rolle dagegen dürfe spielen, ob der Kläger bereits zuvor einmal seine Hörhilfe verloren habe. Denn die entsprechende Vorschrift im Sozialgesetzbuch V enthalte keine zeitliche oder zahlenmäßige Beschränkung des Anspruchs auf Versorgung mit den medizinisch notwendigen Hilfsmitteln.

  2. Die (nochmalige) Ersatzbeschaffung verstößt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot.

    Richtig sei zwar, dass der Sozialgesetzbuch V die Krankenkasse verpflichte, nur Leistungen zu erbringen, die notwendig und wirtschaftlich sind.
    Auch die Krankenkasse streite nicht ab, dass eine Versorgung des Klägers mit dem Hörgerät notwendig sei. Deshalb könne die Krankenkasse allenfalls einwenden, es gebe ein gleichwertiges, aber billigeres Hörgerät. Die Leistung ganz zu versagen, sei durch das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht gedeckt.

  3. Der Kläger hat seine Sorgfaltspflichten verletzt.

    In diesem Zusammenhang argumentieren die Richter*innen in zwei Richtungen.
    Zum einen sei dem Kläger keine Pflichtverletzung vorzuwerfen. Allein die Tatsache, dass das Hörgerät verloren gegangen sei, rechtfertige nicht den Schluss, der Kläger habe seine Sorgfaltspflicht verletzt. Denn der Kläger sei aufgrund seiner Demenz gar nicht in der Lage, auf sein Hörgerät „aufzupassen“.
    Zum anderen stehe ein (unterstelltes) Verschulden des Klägers einer Leistungspflicht der Krankenkasse nicht entgegen. Denn Ansprüche gegen die Krankenkasse auf Hilfsmittel hingen grundsätzlich nicht davon ab, ob der Kläger ihre Notwendigkeit schuldhaft herbeigeführt habe.

Das Ergebnis

Die Krankenkasse lehnte die Finanzierung des Ersatzgerätes zu Unrecht ab. Deshalb hat das Gericht sie verurteilt, die beim Kläger verbliebenen Kosten in Höhe von 708,50 € zu erstatten.

Hier geht es zum Urteil

Originaltext DGB Rechtsschutz
Michael Wanner,
Rechtsschutzsekretär und Online-Redakteur,
Stuttgart

Das Urteil

SG Speyer Urteil vom 19. Februar 2021 AZ: S 19 KR 679/19

Hinweis:

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Dieser Text dient journalistischer Information und gibt nur persönliche Meinung und Erfahrungen wieder. Vor Entscheidungen in Rechts-, Steuer- und Medizinfragen bitte immer eine Fachperson fragen. Fragen Sie immer einen Arzt, Apotheker, Anwalt oder Steuerberater. Das ist günstiger als Sie denken. Verlassen Sie sich nie auf Wissen, das Sie sich nur im Internet zusammengefischt haben!

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