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Darum ist „Handicap“ das falsche Wort für Behinderung

Eine Frau sitzt in einem Rollstuhl

In der Diskussion um die Begriffe für Menschen mit Behinderung tritt vermehrt der Ausdruck „Handicap“ an die Stelle von „Behinderung“.

Dieser Wechsel wird oft mit dem Ziel begründet, die negative Konnotation des Wortes „Behinderung“ zu vermeiden. Jedoch zeigt eine genaue Betrachtung, dass nicht nur die häufig genannte Begründung, sondern auch der Begriff selbst problematisch ist.

Die Bezeichnungen für behinderte Menschen in verschiedenen Sprachen tragen oft eine negative Konnotation. Beispiele hierfür sind „Les Invalides“ in Frankreich oder „Las personas con minusvalias“ in Spanien. In Deutschland wurde lange Zeit von „Invaliden“, „Behinderten“ oder sogar von „Schwerbeschädigten“ gesprochen. Eine neuere Alternative, die vermehrt auftaucht, ist der Begriff „Handicap“ oder „gehandicapt“. Er klingt modern, jugendlich, international und verzichtet auf das sperrige Wort „Behinderung“.

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Trotz der vermeintlichen Frische von „Handicap“ kritisiere ich diese Bezeichnung. Viele glauben ja, und so wird es auch an vielen Stellen behauptet, dass der Begriff auf Bettler Bezug nimmt, die am Straßenrand sitzen und mit der Kappe in der Hand und um Geld bitten. Es soll also mit dem englischen Ausdruck „Cap in Hand“ zu tun haben. Allerdings ist diese Begründung nicht korrekt. „Cap in Hand“ tauchte erstmals 1565 auf und beschrieb die Geste des Hutziehens aus Respekt oder Höflichkeit. Diese Geste entwickelte sich im Laufe der Jahre, bis sie 1887 auch die Bedeutung des Bittens oder Bettelns annahm. Jedoch ist dies eine völlig andere Wortwurzel als die des Begriffs „Hand in Cap“.

„Hand in Cap“ wurde erstmals 1653 in Bezug auf ein Lotteriespiel verwendet. Die Grundidee war, dass zwei Spieler Gegenstände tauschten, und Schiedsrichter den Wert dieser Gegenstände schätzten. Die Spieler mit dem weniger wertvollen Objekt mussten den Differenzbetrag hinzufügen. Der Ausdruck „Hand in Cap“ bezieht sich auf die Handbewegung der Spieler, die über den Tausch entschied. Dieser Begriff wurde später zu „Hand-in-Cap“ und schließlich zu „Handicap“ verkürzt. Im Sport, insbesondere im Pferderennen, wurde der Begriff verwendet, um die Chancengleichheit zwischen ungleichen Teilnehmern sicherzustellen. Erst 1915 wurde „Handicap“ mit Behinderung in Verbindung gebracht, und seit den 1950er Jahren galt er auch für Erwachsene und Menschen mit Lernschwierigkeiten.

Der Ausdruck „Handicap“ ist heute im Sport, insbesondere im Golf, verbreitet. Es bezeichnet die Differenz zwischen den benötigten und tatsächlichen Schlägen eines Golfspielers. Je höher das Handicap, desto schlechter die Spielstärke. Trotz der ursprünglichen Verbindung mit dem Lotteriespiel wird bei Kritik am Begriff „Handicap“ oft der vermeintliche Bezug zu Bettlern genannt. Diese Begründung mag für viele Menschen einfach verständlich sein, umgeht jedoch die eigentliche Geschichte des Begriffs „Handicap“.

Warum also ist „Handicap“ das falsche Wort für Behinderung? Der Begriff beschreibt die Situation aus einer defizitorientierten Sicht. Während „Behinderung“ sowohl die individuelle Einschränkung als auch das soziale Modell von Behinderung einschließt, steht bei „Handicap“ der Vergleich im Vordergrund. Es wird zunächst auf den als besten betrachteten Menschen geschaut und dann verglichen, was der vermeintlich Schwächere nicht kann. Der Blick auf die Individualität geht dabei verloren.

Viele Menschen bevorzugen den Begriff „Handicap“, da sie fürchten, mit dem Wort „Behinderung“ zu beleidigen oder zu stigmatisieren. Alternativbegriffe wie „besondere Bedürfnisse“ oder „andersfähig“ sind jedoch nicht nur wenig treffend, sondern werden auch von den meisten behinderten Menschen nicht selbst verwendet. Diese Menschen haben nicht „besondere Bedürfnisse“, sondern das Recht, nicht benachteiligt zu werden.

Warum also nicht einfach „Mensch mit Behinderung“ oder „behinderter Mensch“? Bei einer Umfrage auf der Straße würde man wahrscheinlich unterschiedliche Antworten erhalten. „Behindert“ und „Behinderung“ haben durch den Missbrauch der beleidigenden Phrase „Bist du behindert?!“ an Ansehen verloren. Dies ist jedoch aus Sicht der Betroffenen ungerechtfertigt, da „Behinderung“ letztendlich nur eines von vielen Merkmalen einer Person beschreibt. Wichtig ist dabei, das Wort „Mensch“ zu betonen, um die Vielfältigkeit der Gruppe zu unterstreichen. „Mensch mit Behinderung“ oder „behinderter Mensch“ ermöglichen einen sensiblen Umgang mit der Thematik und betonen die Individualität jeder Person. Es ist entscheidend, die richtige Begrifflichkeit zu wählen, um Menschen mit Behinderung angemessen zu respektieren und ihre Vielfältigkeit zu würdigen.

Bildquellen:
  • Frau-im-Rollstuhl-ki: KI generiert

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Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | Nele Sanddorn: © 24. April 2024

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