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Berufliche Notwendigkeit kann teureres Hörgerät rechtfertigen

Gericht Richter Urteil Justiz

Erfordert der Beruf aufgrund eines hohen Geräuschpegels ein besonders gutes Hörvermögen, kann Hörbehinderten ein Anspruch auf ein Hörgerät zustehen, welches den gewöhnlichen Festbetrag überschreitet.

Der Kläger ist als Küchenleiter in einer Kantine angestellt und begehrte ein taugliches Hörgerät. Der Betroffene ist auf einem Ohr taub und auf dem anderen zu 30 % schwerhörig. Seine Versicherung wollte ihm lediglich ein einfaches und der Basisversorgung entsprechendes Gerät zahlen. Doch der Kläger begehrte ein digitales Gerät, dessen Kosten den zugebilligten Festbetrag um rund 2500 Euro überstiegen. Er begründete das, indem er ausführte, dass das einfache Gerät Geräusche wie das Klappern von Geschirr und andere Nebengeräusche nicht sauber herausfiltern würde.
Die Benutzung eines solchen einfachen Standardgerätes sei unerträglich. Auch sein Arbeitgeber bescheinigte dem Mann gravierende Nachteile in der Großküche aufgrund seines verminderten Hörvermögens.

Das Gericht teilte die Meinung des Arbeitnehmers und verwies darauf, dass auch ein entsprechendes Gutachten besagt, dass ein übliches Basis-Hörgerät aufgrund der Arbeitssituation keinen geeigneten Ausgleich für die Hörbehinderung schaffen würde.
Maßgeben für die Entscheidung ist dabei allein, dass der Arbeitnehmer ohne das höherwertige Gerät der beruflichen Situation nicht mehr gewachsen sein könnte, wohingegen Vorteile im Privatleben unbeachtlich sind. Erfordert die berufliche Situation ein besonders gutes Hörvermögen ist dem Versicherten auch ein entsprechend gutes Hörgerät zu zahlen.

Sozialgericht Gießen, Urteil SG GI S 4 R 651 11 vom 25.09.2013
Normen: § 16 SGB VI, § 33 VIII S.1 Nr.4 SGB IX
Urteil: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=164657

Das Urteil zeigt, dass es sich lohnen kann, gegen die Entscheidung der Versicherung vorzugehen und zunächst einmal Widerspruch einzulegen.

Wichtiger Hinweis:

Die Krankenkassen übernehmen für ihre Versicherten die Kosten einer medizinisch notwendigen Hörgeräteversorgung ohne Kostenbeschränkung. Allerdings haben die Krankenkassen mit den Hörakustikern Verträge geschlossen, nach denen die Hörakustiker den Kunden auch Hörgeräte zeigen müssen, für die keine Zuzahlung geleistet werden muss. (Es fallen lediglich 10 Euro pro Hörgerät an „Rezeptgebühr“ als Eigenanteil an.)

Außerdem legen die Hörakustikern ihren Kunden eine Mehrkostenerklärung vor, die man unterschreiben soll. Damit erklärt man, dass man sich für zuzahlungspflichtige und teurere Hörgeräte entscheiden möchte und die von der Kasse zum Nulltarif angebotenen Hörgeräte nicht will. In diesem Fall zahlt die Krankenkasse dann nur einen Zuschuss von grob 750 Euro pro Hörgerät. Den Rest (oft viele tausend Euro) muss der Kunde selbst bezahlen.

Damit muss sich aber niemand zufriedengeben. Zwar ist die Abwicklung hinsichtlich der Kostenübernahme für Nulltarifgeräte und Hörgeräte, bei denen Sie den Restpreis selbst bezahlen, viel einfacher und reibungsloser, aber dennoch haben Sie u.U. einen Anspruch gegen Ihre Krankenkasse (oder auch den Rententräger) auf Übernahme von teureren und leistungsfähigeren Hörgeräten.

Dieser Anspruch muss medizinisch begründbar sein und vor dem Kauf bei der Krankenkasse beantragt werden. Im Ablehnungsfall hat man dann die Möglichkeit zur Klage vor dem Sozialgericht. Die Gerichte entscheiden oft für die Versicherten.
Mehr Informationen erhalten Sie beispielsweise beim Sozialverband VdK und bei den Verbraucherzentralen.

Widerspruch kann sich lohnen

Es gibt mehrere Gründe, warum es sich lohnen kann, gegen einen Ablehnungsbescheid der Krankenkasse Widerspruch einzulegen oder sogar Klage zu erheben. Viele Betroffene akzeptieren den ersten Bescheid ihrer Krankenkasse, möglicherweise aus Unkenntnis über ihre Rechte oder aus Sorge vor komplizierten Verfahren. Hier einige Argumente, warum es sich dennoch lohnen kann, aktiv zu werden:

1. Fehler bei der Bescheidung

Krankenkassen können Fehler machen, sei es durch Überlastung, Missverständnisse in der Kommunikation oder auch Fehlinterpretationen der medizinischen Unterlagen oder der rechtlichen Lage. Ein Widerspruch oder eine Klage kann dazu führen, dass der Fall nochmals genauer geprüft und eventuell zugunsten des Versicherten entschieden wird.

2. Rechtsprechung kann sich ändern

Die Rechtslage, insbesondere im Sozialrecht, ist dynamisch und kann sich durch aktuelle Urteile ändern. Was in einem Jahr noch als nicht erstattungsfähig gilt, kann kurze Zeit später schon anders bewertet werden. Durch einen Widerspruch oder eine Klage kann ein Fall neu bewertet werden, möglicherweise auch unter Berücksichtigung neuerer Rechtsprechung.

3. Höhere Erfolgschancen bei Widerspruch und Klage

Statistiken und Erfahrungen zeigen, dass viele Widersprüche und Klagen gegen Ablehnungsbescheide der Krankenkassen erfolgreich sind. Das Durchfechten eines abgelehnten Anspruchs kann also statistisch gesehen lohnenswert sein.

4. Präzedenzfälle schaffen

Durch das Anfechten eines Bescheides können nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für andere Versicherte Verbesserungen erreicht werden. Gerichtsurteile schaffen Präzedenzfälle, die zukünftige Entscheidungen der Krankenkassen und Gerichte beeinflussen können.

5. Verbesserung der Dokumentation und Begründung

Ein Widerspruchsverfahren zwingt die Krankenkasse dazu, die Entscheidung detailliert zu begründen. Dies kann einerseits dem Versicherten helfen, die Entscheidung besser zu verstehen, und andererseits auch dazu führen, dass die Krankenkasse mögliche Fehler im ursprünglichen Bescheid erkennt und korrigiert.

6. Nutzung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten

Viele Betroffene wissen nicht, dass es zahlreiche Beratungsstellen gibt, die beim Verfassen von Widersprüchen helfen und durch das Verfahren führen können. Diese Unterstützung kann die Chancen auf Erfolg weiter erhöhen und die Hürde zur Anfechtung senken.

Fazit

Sich mit einem Ablehnungsbescheid der Krankenkasse nicht zufrieden zu geben und stattdessen Widerspruch einzulegen oder zu klagen, kann vielfältige Vorteile haben. Nicht nur die Chance auf Erfolg in Bezug auf den jeweiligen medizinischen Anspruch steigt, sondern es können auch grundsätzliche Verbesserungen im System angestoßen werden. Wichtig ist dabei, sich gut zu informieren und gegebenenfalls professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Bildquellen:
  • gericht-richter-urteil-justiz: Peter Wilhelm ki
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