DIREKTKONTAKT

Hörakustiker

Keine Hörgeräte-Anpassung ohne direkten Kundenkontakt

Hören

Die Versorgung eines Schwerhörigen mit modernen, digitalen Hörgeräten erfolgt persönlich, direkt beim Hörakustiker im direkten Kontakt zwischen Meister*in und Kunden.

Moderne Hörgeräte sind aus der Ferne anpassbar. Das bedeutet, dass der Hörakustiker von seinem Geschäft aus am Computer die Hörgeräte des Kunden über eine Handy-App einstellen kann.
Das Verfahren ist noch recht neu, funktioniert aber schon sehr gut. Für die Kunden hat das den großen Vorteil, dass sie nicht mehr für jede Anpassung der Hörgeräteeinstellungen zum Hörakustiker müssen.

Es gibt aber Anbieter von Hörgeräten, die komplett auf diese Fernanpassung setzen möchten. Sie wollen die Hörgeräte auf dem Versandweg vertreiben und dann die komplette Erstanpassung online aus der Ferne vornehmen. Das ist in meinen Augen keine korrekte und fachmännische Anpassung.
Zu einer Hörgeräteanpassung gehören umfangreiche Hörtests, viele Fragen und Rückfragen und unabdingbar die direkte Kommunikation zwischen Schwerhörigem und Akustiker. Gerade, wenn es sich um ältere Patienten handelt, kann es hierbei bei einer rein aus der Ferne durchgeführten Anpassung zu Problemen kommen.

Jetzt musste sich ein Gericht mit der Frage befassen, ob eine ausschließliche Fernanpassung überhaupt dem Verständnis von einer meisterlichen, handwerklichen Arbeit entspricht.

Die individuelle Anpassung von Hörgeräten erfolgt traditionell nach einem meisterlichen Standard, bei dem Kunden und Hörakustiker physisch am selben (präqualifizierten) Ort zusammenkommen. Allerdings gewinnt die reine Onlineversorgung durch den Einsatz digitaler Technologien zunehmend an Bedeutung. In diesem Kontext stellt sich die legitime Frage, ob eine ausschließliche Fernanpassung und insbesondere die entsprechende Werbung rechtlich zulässig sind. Diese Frage wurde kürzlich durch ein rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Traunstein vom 26.10.2023 (Az.: 7 O 1412/22) geklärt.

Sachverhalt:

Die Beklagte, ein Hörakustikunternehmen mit fünf Niederlassungen in Deutschland, das jedoch vorrangig über einen Onlineshop agiert, hat sich auf digitale Fernanpassungen spezialisiert. Der Prozess wurde auf der Unternehmenswebsite wie folgt beschrieben: Der Kunde übermittelt der Beklagten die HNO-ärztliche Verordnung in digitaler Form, beispielsweise als Scan oder einfaches Foto. Basierend allein auf dieser ärztlichen Indikation programmiert die Beklagte die Hörgeräte vor und sendet sie dann per Post an den Kunden. Die Erstanpassung des Geräts erfolgt über eine Livevideositzung im Internet mithilfe einer bereitgestellten Smartphone-App. Während dieser Anpassung befindet sich der Hörakustiker der Beklagten in einem präqualifizierten Raum, während der Kunde sich an einem beliebigen Ort aufhalten kann, beispielsweise im heimischen Wohnzimmer. Das Hörsystem wird basierend auf dieser Videokonferenz auf die individuellen Bedürfnisse des Kunden angepasst.

Die Klägerin, ein Hörakustikunternehmen mit mehreren Niederlassungen in Deutschland, hat die Beklagte abgemahnt und die Abgabe einer Unterlassungserklärung gefordert. Die Klägerin argumentierte, dass die Werbung für digitale Fernanpassungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen verstößt, insbesondere gegen § 9 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG). Des Weiteren sah sie die Tätigkeit der reinen Onlineanpassung als nicht mit dem Medizinrecht vereinbar an, insbesondere mit § 9 des Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetzes (MPDG). Eine Unterlassungserklärung wurde von der Beklagten nicht unterzeichnet, weshalb der Fall vor Gericht verhandelt wurde.

Entscheidungsgründe:

Das Landgericht Traunstein hat in seiner umfassenden Entscheidung gegen den Fernanpasser eine klare Position eingenommen. Es hat ausdrücklich die Werbung für die Anpassung von Hörsystemen ohne direkten Kundenkontakt untersagt, da dies als Verstoß gegen § 9 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) angesehen wird. Gemäß dieser Vorschrift ist jegliche Werbung, die für eine Fernbehandlung wirbt, unzulässig. Die Entscheidung des Gerichts gründet sich im Wesentlichen auf dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, da es die ausschließliche Fernbehandlung ohne persönlichen Kontakt als grundsätzlich gesundheitsgefährdend einschätzt.

Zusätzlich betonte das Urteil die Bedeutung von Qualitätsstandards und Rückverfolgbarkeit bei der Anpassung personalisierter Medizinprodukte gemäß dem Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG). Im vorliegenden Fall stellte das Gericht einen Verstoß gegen § 9 Absatz 1 Nummer 1 MPDG fest. Dieser Paragraph verpflichtet den Hörakustiker dazu, auf Basis eigener Untersuchungen und Messungen eine eigene Verordnung zu dokumentieren. Die Beklagte hatte jedoch versäumt, eine solche Verordnung zu dokumentieren. Das Gericht betonte, dass diese Verordnung ausschließlich durch einen Hörakustiker erstellt und dokumentiert werden muss. In seiner Begründung hob das Gericht hervor, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung ausdrücklich nicht die ohrenärztliche Verordnung Muster 15 im Sinn hatte.

Urteil des Landgerichts Traunstein: Werbeverbot für ausschließliche Fernanpassung von Hörgeräten

Im Rahmen der ausführlichen Urteilsbegründung des Landgerichts Traunstein wurde das Verbot der Werbung für die ausschließliche Fernanpassung von Hörgeräten eingehend erörtert. Gemäß § 9 Satz 1 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) wird jegliche Werbung als unzulässig betrachtet, wenn sie sich auf die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden bezieht, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier basiert.

Fernanpassung als Fernbehandlung: Eine rechtliche Kategorisierung

Das Gericht klassifizierte die digitale Fernanpassung als eine spezifische Form der Fernbehandlung. Dabei ist entscheidend, dass der Behandelnde ohne eigene Wahrnehmung der erkrankten Person konkrete diagnostische oder therapeutische Maßnahmen vornimmt. Der Begriff der Behandlung wird in diesem Kontext im Sinne des Patientenschutzes weit gefasst.

Ausschließliche Fernanpassung im Fokus: Eine rechtliche Einordnung

Im vorliegenden Fall stellte das Gericht fest, dass die Beklagte auf Basis aus der Ferne übermittelter Informationen eine Anpassung bzw. Justierung am Hörsystem vornimmt. Dies geschieht ausschließlich während einer Livevideositzung über das Internet, ohne dass eine persönliche Inaugenscheinnahme bei gleichzeitiger physischer Anwesenheit des Hörakustikers und des Kunden stattfindet. Das Gericht betont, dass die Anpassung somit nicht aufgrund der eigenen Wahrnehmung des Hörakustikers erfolgt.

Patientenschutz im Fokus: Digitale Anpassung als Fernbehandlung

Im Rahmen dieser Anpassung wird gezielt auf das individuelle Hördefizit des Kunden eingewirkt, mit dem Ziel der Linderung oder Heilung. Das Gericht sieht dieses Verfahren als genau der oben beschriebenen Behandlung eines Leidens im Sinne des § 9 Satz 1 HWG an. Daher wurde die Werbung für die ausschließliche Fernanpassung als rechtlich unzulässig eingestuft.

Fazit: Rechtliche Konsequenzen für die Werbung digitaler Fernanpassungen

Insgesamt hat das Landgericht Traunstein klargestellt, dass die Werbung für ausschließliche Fernanpassungen von Hörgeräten gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen verstößt. Dieses wegweisende Urteil unterstreicht die Bedeutung des Patientenschutzes und setzt klare rechtliche Maßstäbe für die digitale Anpassung von medizinischen Geräten.

Abgrenzung von Berufsrecht und Heilmittelwerbegesetz

Die Beklagte argumentierte, dass ihre digitale Fernanpassung bereits seit vielen Jahren dem technischen und fachlichen Standard entspricht, wie es beispielsweise aus § 2 Nr. 5 der Hörakustikermeisterverordnung hervorgeht, in der die Teleaudiologie als Begriff erwähnt wird.

Unterschiede zwischen Berufsrecht und Heilmittelwerbegesetz

Unabhängig von der Position der Beklagten wies das Gericht darauf hin, dass die bloße Erwähnung eines Begriffs wie Teleaudiologie in einer Verordnung nicht zwangsläufig einen technischen oder fachlichen Standard festlegt. Das Gericht betonte, dass bei berufsrechtlichen Regelungen wie der Hörakustikermeisterverordnung nicht automatisch eine Abhängigkeit zu formellen Regelungen wie dem Heilmittelwerbegesetz besteht.

§ 9 HWG als abstrakter Gefährdungstatbestand

Das Gericht machte allgemeine Ausführungen zu § 9 HWG. Diese Vorschrift stellt einen abstrakten Gefährdungstatbestand dar, der bestimmte Verhaltensweisen verbietet, da sie generell geeignet sind, bestimmte Rechtsgüter wie das körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit zu gefährden. Entscheidend bei einem abstrakten Gefährdungstatbestand ist, dass nicht der Eintritt eines Schadens oder einer konkreten Gefahr nachgewiesen werden muss, sondern lediglich, dass das Verhalten typischerweise gefährlich ist.

Verbot der Werbung für Fernanpassungen gerechtfertigt

Das Gericht prüfte die Vereinbarkeit eines Werbeverbots für die Fernanpassung von Hörgeräten mit der Berufsausübungsfreiheit gemäß Artikel 12 des Grundgesetzes. Es stellte fest, dass ein solcher Eingriff im vorliegenden Fall verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, aufgrund der schwerwiegenden potenziellen Gesundheitsrisiken, die mit der ausschließlichen Fernanpassung von Hörsystemen einhergehen. Daher sieht das Gericht einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit als notwendig und gerechtfertigt an.

Hörakustiker müssen Dokumentationspflichten erfüllen

Das Gericht beschäftigte sich nicht nur mit dem Werbeverbot, sondern auch mit den Regelungen des § 9 MPDG. Diese Vorschrift verlangt von Personen, die serienmäßig hergestellte Produkte an die individuellen Anforderungen eines Patienten anpassen, die Einhaltung spezifischer Dokumentationspflichten. Das Ziel ist die Sicherheit und Funktionsfähigkeit personalisierter Medizinprodukte, wie angepasste Hörsysteme, zu gewährleisten.

Hörakustiker muss eigenständige Verordnung ausstellen

Das Gericht verdeutlichte, dass unter dem Begriff „schriftliche Verordnung“ gemäß § 9 Abs. 1 MPDG nicht die ärztliche Verordnung – Muster 15 – zu verstehen ist, sondern vielmehr eine eigenständige Verordnung, die vom Hörakustiker zu erstellen ist. Diese Auslegung wird durch die gewählten Formulierungen in der Gesetzesbegründung zum MPDG gestützt.

Ist die Fernanpassung Stand der Technik?

Abschließend wurde § 9 Abs. 1 Nr. 5 MPDG als Aspekt behandelt, der für die Urteilsfindung nicht mehr entscheidend war. Diese Vorschrift verlangt, dass die Anpassung von Medizinprodukten dem aktuellen Stand der Technik genügen und entsprechend dokumentiert sein muss. Das Gericht stellte die berechtigte Frage, ob eine ausschließliche Onlineversorgung, die lediglich über das Internet mittels Videokommunikation stattfindet, tatsächlich diesem geforderten Stand der Technik entsprechen kann. Bedenken wurden durch Sachverständige, einschließlich ärztlicher Sachverständiger, geäußert, insbesondere bei einer ausschließlichen Fernanpassung.

 

Das Urteil zum Fall lesen Sie hier.

Hinweis:

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