In vielen Köpfen existiert noch immer das Bild der Arztpraxis als ruhigen, respektvollen Ort, an dem Patienten und medizinisches Personal vertrauensvoll zusammenarbeiten. Die Realität sieht jedoch zunehmend anders aus: Gewalt ist längst nicht mehr nur ein Problem in Notaufnahmen und im Rettungsdienst, sondern hat auch in den Alltag von niedergelassenen Arztpraxen Einzug gehalten.
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Eine aktuelle Umfrage des Ärzteverbunds Medi Baden-Württemberg wirft ein erschreckendes Schlaglicht auf dieses Thema.
Zwei Drittel erleben regelmäßig verbale Gewalt
Laut der Befragung, an der 140 Praxisteams teilgenommen haben, gaben 67 Prozent an, bereits Erfahrungen mit verbaler Gewalt gemacht zu haben. Ganze 16 Prozent berichteten sogar, dass es in ihrer Praxis sowohl zu verbaler als auch zu körperlicher Gewalt gekommen ist. Besonders alarmierend: Mehr als die Hälfte der Befragten erlebt solche Übergriffe mindestens einmal im Monat, fast jede fünfte Praxis sogar zwei- bis viermal monatlich.
Diese Zahlen sind Ausdruck eines gesellschaftlichen Klimas, das sich in den letzten Jahren zunehmend verschärft hat. Patienten kommen oft mit hohen Erwartungen, mit Frustration über Wartezeiten oder mit persönlichen Belastungen, die sie in aggressives Verhalten umschlagen lassen. Das Resultat: Ein gefährliches Arbeitsumfeld für diejenigen, die eigentlich helfen wollen.
Psychische und körperliche Folgen für die Beschäftigten
Die Auswirkungen auf die Beschäftigten sind gravierend. 39 Prozent der Befragten berichten von anhaltenden psychischen Belastungen nach Gewalterfahrungen. Bei elf Prozent waren oder sind sogar ärztliche Behandlungen aufgrund dieser Erlebnisse erforderlich.
Diese Erlebnisse führen nicht nur zu Stress und Angst, sondern auch zu langfristigen gesundheitlichen Problemen. Burnout, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen können die Folge sein. Viele Praxen beklagen zudem eine steigende Zahl an Kündigungen, weil Mitarbeiter den psychischen Druck nicht mehr aushalten.
Schutzmaßnahmen: Vom Codewort bis zum Pfefferspray
Um auf die zunehmenden Aggressionen vorbereitet zu sein, treffen immer mehr Praxen Maßnahmen. Laut der Umfrage haben fast 50 Prozent der Praxisteams bereits Kommunikationsseminare besucht, um Konflikte frühzeitig zu erkennen und deeskalierend reagieren zu können.
Doch das allein reicht oft nicht aus. Fast jede vierte Praxis setzt inzwischen auf bauliche Veränderungen, beispielsweise durch Panzerglas an der Rezeption oder gesicherte Zugangstüren. 15 Prozent haben mit dem Team Codewörter vereinbart, um im Ernstfall diskret Hilfe zu rufen. Acht Prozent der Praxen sahen sich sogar gezwungen, Hausverbote auszusprechen. In Einzelfällen liegen inzwischen auch Pfeffersprays bereit — eine drastische, aber offenbar notwendige Maßnahme.
Forderung nach besserem strafrechtlichen Schutz
Die Ärzteschaft fordert deshalb eine Erweiterung des Paragrafen 115 Absatz 3 Strafgesetzbuch (StGB). Dieser stellt bislang den Rettungsdienst und den ärztlichen Notdienst unter einen besonderen strafrechtlichen Schutz. Nach Ansicht der Ärzteverbände müsse dieser Schutz dringend auf das medizinische Personal in Arztpraxen ausgedehnt werden.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, betonte bereits mehrfach, dass „Gewalt gegen medizinisches Personal nicht nur die individuelle Sicherheit gefährdet, sondern auch die Versorgung der Patienten insgesamt untergräbt.“ Nur durch klare gesetzliche Regelungen könne ein wirksames Signal gesetzt werden, dass Gewalt in keinem Fall toleriert wird.
Gesellschaftliche Verantwortung und notwendiger Kulturwandel
Die Ursachen dieser Entwicklung sind vielschichtig. Neben einer allgemein zunehmenden gesellschaftlichen Aggressivität spielen auch Faktoren wie überlastete Praxen, Fachkräftemangel und gestiegene Ansprüche der Patienten eine Rolle. Zudem hat die Corona-Pandemie, mit ihrer langen Phase sozialer Spannungen und Frustrationen, die Lage weiter verschärft.
Es braucht nicht nur gesetzliche Anpassungen, sondern auch einen Kulturwandel in der Gesellschaft. Respekt, Geduld und Verständnis gegenüber medizinischem Personal sollten selbstverständlich sein, sind es aber längst nicht mehr.
Fazit
Die Ergebnisse der Umfrage zeigen in aller Deutlichkeit: Gewalt ist in deutschen Arztpraxen trauriger Alltag geworden. Es handelt sich dabei nicht um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Problem, das die Gesundheit der Beschäftigten gefährdet und die Patientenversorgung insgesamt schwächt. Die Politik ist gefordert, die bestehenden Schutzmechanismen zu erweitern und klare gesetzliche Grundlagen zu schaffen. Gleichzeitig muss in der Gesellschaft ein stärkeres Bewusstsein dafür entstehen, dass Ärztinnen, Ärzte und ihre Teams Respekt und Schutz verdienen — nicht nur, weil sie uns versorgen, sondern weil sie täglich dafür sorgen, dass wir gesund bleiben.
Quellen und weitere Informationen
• Ärzteverbund Medi Baden-Württemberg: Pressemitteilung zur Umfrage https://www.medi-verbund.de/aktuelles/
• Bundesärztekammer: Stellungnahme zur Gewalt gegen Ärzte und medizinisches Personal: https://www.bundesaerztekammer.de
• Ärzteblatt: Bericht über Gewalt in Arztpraxen: https://www.aerzteblatt.de/news/…
Bildquellen:
- renintent: Peter Wilhelm ki
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