Fragen an die Redaktion

GdB Grad der Behinderung bei Schwerhörigkeit?

Sachbearbeiterin

Wer eine Behinderung hat, sollte einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter stellen. Das kann Vorteile am Arbeitsplatz und bei der Rente, sowie im Alltag mit sich bringen. Hierzu gibt es viele Missverständnisse.

Liebe Leute vom Hörgeräte-Info.Net!

Ich bin ratlos. Ich habe schwere Depressionen und eine Soziophobie. Jetzt ist noch eine Schwerhörigkeit dazugekommen.
Einen Antrag beim Versorgungsamt wegen eines Behindertenausweises habe ich schon gestellt. Macht es Sinn, den noch um die Schwerhörigkeit zu erweitern?
In dem Forum, wo ich schon mal gefragt habe, haben die mir die Prozente für den Hörverlust ausgerechnet und kommen auf GDB 30.
Dafür gibt es aber noch keinen Ausweis.
Wie soll ich vorgehen?

Werbung

Die Berechnung des Grades der Behinderung (GdB) – Ein Missverständnis

Beim Grad der Behinderung (GdB), umgangssprachlich oft als „Prozente“ bezeichnet, handelt es sich nicht um eine einfache Addition einzelner Beeinträchtigungen. Viele Menschen gehen irrtümlich davon aus, dass sie für eine bestimmte Erkrankung einen GdB von 10 und für eine andere einen GdB von 20 erhalten und diese Werte dann summiert werden. Doch so funktioniert das System nicht.

Die ganzheitliche Bewertung der Beeinträchtigungen

Die Feststellung des GdB erfolgt stets unter Berücksichtigung aller vorliegenden gesundheitlichen Einschränkungen in ihrer Gesamtheit. Es geht nicht darum, einzelne Diagnosen getrennt zu bewerten und dann rechnerisch zusammenzuführen. Stattdessen wird geprüft, in welchem Umfang die verschiedenen Beeinträchtigungen gemeinsam die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Alltagsbewältigung erschweren. Dabei wird besonders das Zusammenspiel der einzelnen Erkrankungen berücksichtigt. Eine leichte Beeinträchtigung kann in Kombination mit einer anderen erheblich schwerwiegendere Folgen haben, als wenn sie isoliert betrachtet wird.

Wichtige Schritte für eine realistische Einschätzung des GdB

Um den GdB realistisch und umfassend bewerten zu lassen, empfehle ich Ihnen, alle relevanten medizinischen Nachweise einzuholen. Dabei sollten die behandelnden Ärzte nicht nur die Diagnosen dokumentieren, sondern auch detailliert auf die daraus resultierenden Einschränkungen im Alltag eingehen. Je genauer diese Beschreibungen sind, desto besser kann das Versorgungsamt eine angemessene Einschätzung treffen.

Zusätzlich rate ich Ihnen, selbst eine ausführliche Stellungnahme zu verfassen. Bitte verirren Sie sich darin nicht in medizinisches Vokabular, sondern schreiben Sie in eigenen Worten. In diesem Brief sollte präzise und eindringlich geschildert werden, welche konkreten Schwierigkeiten sich aus der Kombination der Beeinträchtigungen ergeben. Beispielsweise mag eine Darmerkrankung allein betrachtet als eher geringfügige Einschränkung erscheinen. Doch wenn zusätzlich eine Gehbehinderung besteht, kann der Betroffene möglicherweise nicht rechtzeitig eine Toilette erreichen. Entwickelt sich daraus eine Angst vor sozialen Situationen oder gar eine Isolation, verstärkt sich die Beeinträchtigung erheblich. Sollten durch diese Einschränkungen auch psychische Belastungen wie Depressionen zunehmen, muss dies ebenfalls in die Bewertung einfließen. Genau solche Wechselwirkungen sind für die korrekte Einstufung des GdB von entscheidender Bedeutung.

Die Rolle der Arztberichte und der eigenen Darstellung

Ärztliche Gutachten sind eine zentrale Grundlage für die Feststellung des GdB. Allerdings stammen diese Berichte häufig von verschiedenen Fachrichtungen, die in ihrer Beurteilung keinen Bezug zueinander nehmen. Während ein Orthopäde die Mobilitätseinschränkungen dokumentiert, befasst sich ein Gastroenterologe mit den Verdauungsproblemen – die Wechselwirkungen dieser beiden Aspekte bleiben oft unberücksichtigt. Deshalb ist es essenziell, als Betroffener selbst die Zusammenhänge darzustellen und deutlich zu machen, inwiefern mehrere Erkrankungen gemeinsam eine stärkere Beeinträchtigung verursachen als jede einzelne für sich genommen.

Sachbearbeiter brauchen klare und vollständige Informationen

Ein ganz großer Irrtum wird durch viele Internetseiten beflügelt. Dort wird immer der Eindruck erweckt, als seien die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter bei den Versorgungsämtern die Gegner der Antragsteller. Das ist aber vollkommen falsch, um nicht zu sagen, Quatsch.
Die Sachbearbeiter müssen gesetzeskonform und gerecht entscheiden. Das können Sie aber nur, wenn sie über ausreichende Informationen verfügen. Ein unterschätzter Aspekt ist der Ermessensspielraum der Sachbearbeiter im Versorgungsamt. Diese müssen auf Basis der vorliegenden Unterlagen eine Entscheidung treffen. Liegen ihnen nur unzusammenhängende Arztberichte vor, bewerten sie den Antrag nach Aktenlage – was nicht immer zugunsten des Betroffenen ausfällt. Wer jedoch detailliert beschreibt, wie sich die Einschränkungen im Alltag auswirken und welche besonderen Herausforderungen durch die Kombination der Erkrankungen entstehen, liefert den Entscheidern eine wertvolle Grundlage für eine faire Beurteilung.

Individuelle Beeinträchtigung statt starrer Rechenformel

Zwar gibt es bestimmte Erkrankungen, für die pauschale GdB-Werte festgelegt sind – beispielsweise für vollständige Blindheit oder Gehörlosigkeit. Doch in vielen Fällen kommt es auf die individuelle Situation an. Eine Kombination aus Depression, sozialer Phobie und Schwerhörigkeit kann für eine Person eine erheblich größere Belastung darstellen als für eine andere. Deshalb ist es entscheidend, nicht nur die Diagnosen, sondern auch deren konkrete Auswirkungen im täglichen Leben darzustellen.

Der GdB ist keine einfache Rechenaufgabe, sondern eine umfassende Bewertung der individuellen Lebenssituation. Wer sich darauf vorbereitet, die Wechselwirkungen der eigenen Beeinträchtigungen gut zu dokumentieren und nachvollziehbar darzustellen, hat die besten Chancen auf eine angemessene Anerkennung des tatsächlichen Unterstützungsbedarfs.

In Ihrem Fall würde ich tatsächlich so vorgehen, dass ich diesen Brief nun schreiben und auf die hinzugekommene Hörbehinderung hinweisen würde. Ist es dafür eventuell schon zu spät, können Sie gegen den Bescheid des Amtes Widerspruch einlegen und Ihre Schilderung sowie die Erweiterung des Antrags danach einreichen. Es ist nämlich auch ein Irrtum, dass die Behörde Sie als bösen Gegner betrachtet, wenn Sie sich wehren oder etwas richtiggestellt haben möchten.

Ich drücke Ihnen die Daumen. Schreiben Sie mir ruhig, wie es ausgegangen ist.

Bildquellen:
  • sachbearbeiterin-behoerde: Peter Wilhelm KI

22d68e987ce34ebeb52a6d4a4fc3f50a

Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

Schlagwörter: , , , , , , ,
Kategorie: Fragen an die Redaktion

In der Rubrik „Fragen an die Redaktion“ finden Sie unsere Antworten auf Fragen von Leserinnen und Lesern. Diese Fragen sind zum Teil Inhalte Dritter, die uns tagtäglich auf den verschiedensten Wegen erreichen und die wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Es handelt sich also bei den Fragen um redaktionell meist nicht bearbeitete und auf ihren Wahrheitsgehalt hin nicht überprüfte Fragen Dritter. Für die Fragen sind allein die Übersender der Mitteilungen verantwortlich, die Redaktion macht sich die Aussagen nicht zu eigen.


alle Artikel dieser Kategorie >>
Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Nele Sanddorn: © 16. März 2025

Lesen Sie doch auch:





Rechtliches