Behörden, Kasse, Ärzte

Kassen lehnen Folgeversorgung ab

Einfache Sprache

Es wird im Allgemeinen davon gesprochen, dass Schwerhörige mit einer Verordnung vom Ohrenarzt einen Anspruch auf

a) kostenlose Hörgeräte haben und
b) alle sechs Jahre neue Hörgeräte bekommen können.

Wir wollen gemeinsam einmal einen Blick auf die Wiederversorgung mit Hörgeräten nach Ablauf von 6 Jahren werfen. Auch hier im Portal HÖRGERÄTE-INFO.NET sprechen wir immer davon, dass die Folgeversorgung nach 6 Jahren quasi als gesetzt gilt. Das ist unserer Ansicht nach auch so.

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Die Hörgerätehersteller sprechen ihren Geräten im Allgemeinen auch eine Lebensdauer von sechs Jahren zu. Dass Hörgeräte mitunter wesentlich länger halten, steht auf einem anderen Blatt. Lange übliche Praxis war es, dass man bei der ersten Feststellung einer Schwerhörigkeit eine Verordnung vom Ohrenarzt benötigte. Für die Folgeversorgung nach 6 Jahren genügte dann ein Besuch beim Hörakustiker.

Jetzt stellen mehrere Krankenkassen das in Frage. Die Folgeversorgung wird abgelehnt. Der Versicherte wird darauf verwiesen, dass die Geräte noch intakt seien und auch noch stärker eingestellt werden könnten. Neue Hörgeräte seien deshalb aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht zuschussfähig. Für defekte Geräte komme zunächst einmal eine Reparatur in Betracht.

Der Kostendruck auf die Krankenkassen ist enorm. Es soll und muss gespart werden, da sind sich alle einig. Jetzt sind zunehmend Schwerhörige von den Kosteneinsparungen der Krankenkassen betroffen. Derzeit federführend sind hier, so wird uns berichtet, die DAK, die KKH und die Barmer.

Was zahlt die Krankenkasse bei Hörgeräten

Diese Krankenkassen, und es steht zu befürchten, dass es noch mehr werden könnten, lehnen die Kostenübernahme für eine Folgeversorgung in immer mehr Fällen ab.

Denn nach Meinung der Krankenkassen handelt es sich bei der 6-Jahres-Frist nicht um eine Selbstverständlichkeit, sondern vielmehr um ein ungeschriebenes Gesetz. Demnach könne die Wiederversorgung nach sechs Jahren bezuschusst werden, müsse es aber nicht zwangsläufig und automatisch. Das gelte insbesondere, wenn die Hörsysteme in den Augen der Krankenkassen noch ausreichend sind.

Aus ihrer täglichen Arbeit kennen erfahrene Hörgerätenutzer das Prozedere: Kurz vor Ablauf der sechs Jahre spricht der Hörakustiker die Möglichkeit einer Neuversorgung an. Normalerweise geht dann alles reibungslos: Es werden neue Hörsysteme getestet, bis das passende gefunden ist, der Antrag geht an die Krankenkasse, diese genehmigt die Neuversorgung inklusive erneuter Zuzahlung.

Bisherige Praxis wird zunehmend in Frage gestellt

Doch seit etwa zwei Jahren wird an dieser Stelle immer öfter gemauert. Gesetzliche Krankenkassen, allen voran die KKH, die DAK und die Barmer, verweigern die erneute Versorgung.

Wer ist hier im Recht?

In Stellungnahmen gegenüber dem Deutschen Schwerhörigenbund e.V. streiten die Kassen auch nicht ab, dass sie ihr Genehmigungsverhalten geändert haben. Begründet wird das mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot des Sozialgesetzbuches und dem Hinweis darauf, dass Hörgeräte meist auch länger als 6 Jahre funktionieren.

So sieht die Rechtslage aus

Dieses Vorgehen steht unserer Auffassung nach in krassem Widerspruch zu geltendem Recht. Schauen wir auf den § 31 Hilfsmittelrichtlinie und das Gebot des technischen Fortschritts nach § 2 SGB V.

Der Zeitraum von 6 Jahren ist nicht aus der Luft gegriffen. Er ist in § 31 der Hilfsmittelrichtlinie zu finden. Dort heißt es:

§ 31 Wiederverordnung

„1 Die Wiederverordnung von Hörgeräten vor Ablauf von fünf Jahren bei Kindern und Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs sowie vor Ablauf von sechs Jahren bei Erwachsenen bedarf einer besonderen Begründung. 2 Ein medizinischer Grund kann z.B. die fortschreitende Hörverschlechterung sein. 3 Technische Gründe ergeben sich aus dem Gerätezustandsbericht.“

Es wird also festgelegt, dass bei einer Folgeversorgung vor Ablauf von 6 Jahren eine besondere Begründung erforderlich ist. Daraus ergibt sich aber unserer Auffassung nach eindeutig, dass bei einer Folgeversorgung nach 6 Jahren eben eine solche Begründing nicht erforderlich ist.

Der Zeitraum von 6 Jahren hat demnach logischerweise in viele Regelungen der Hörversorgung Einzug gehalten:

  1. In sämtlichen Versorgungsverträgen der Krankenkassen mit den Hörakustikern wird auch der Versorgungszeitraum von 6 Jahren festgelegt.
  2. In den Versorgungsverträgen wird die Zustimmung der Kassen zu einer Folgeversorgung nur bei einer „vorzeitigen Wiederversorgung“ gefordert.
  3. Außerdem weiß ja jeder, dass auch die Reparaturkostenpauschale für 6 Jahre befristet wird. Auch das ist ein Hinweis auf die völlig unbestrittene Akzeptanz der 6-Jahres-Frist.
  4. Sogar im Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird hinsichtlich der Reparaturfähigkeit von Hörgeräten die 6-Jahres-Dauer gesichert: „Es dürfen nur Hilfsmittel abgegeben werden, deren Reparatur für mindestens 6 Jahre sichergestellt ist.“
  5. Auch in der Begutachtungsanleitung der GKV wird für die Hörversorgung eine „Regelgebrauchszeit“ für Hörgeräte auf 6 Jahre unterstellt.

Der technische Fortschritt

Der 6-Jahres-Zeitraum für eine bedingungslose Folgeversorgung ergibt sich aus dem Anspruch der Versicherten auf eine Leistung, die in Hinblick auf Qualität und Wirksamkeit den medizinischen Fortschritt berücksichtigt (§ 2 SGB V):

§ 2 Abs. 1 SGB V: (…) „Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.“

Der Deutsche Schwerhörigenbund e.V. schreibt dazu:

Dem Zeitraum von 6 Jahren liegt die Erfahrung zugrunde, dass sich in diesem Zeitraum die Hörgerätetechnik derart fortentwickelt hat, dass die ursprünglich ausgegebenen Systeme nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. Die Hersteller von Hörgeräten bringen regelmäßig alle zwei Jahre eine neue Gerätegeneration mit technischen Weiterentwicklungen heraus, die auch erhebliche Fortschritte beim Sprachverstehen und Richtungshören umfassen. Eine Gebrauchszeit von 6 Jahren umfasst also 3 Gerätegenerationen. Da sich die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts bei Hörgeräten – insbesondere auch in Bezug auf ihre audiologischen Eigenschaften und Gebrauchsvorteile – in den vergangenen zwei Jahrzehnten eher weiter beschleunigt als verlangsamt hat, besteht auch kein Anlass, diesen regelmäßigen Versorgungszeitraum zu verlängern.DSB

Keine Frage: Wirtschaftlichkeit ist wichtig! Aber der technische Fortschritt geht weiter

Die Forderung nach wirtschaftlichem Handeln der Krankenkassen liegt in unser aller Interesse. Wir von HÖRGERÄTE-INFO.NET und auch der DSB sind überzeugt, dass eine automatische Wiederversorgung mit Hörgeräten, nur weil die Zeit herum ist, nicht sinnvoll ist. Sind die Geräte noch intakt und ist der Schwerhörige damit ausreichend versorgt, müssen keine neuen Hörgeräte her. Das spart den Kassen und infolgedessen den Versicherten viel Geld.
Das ist auch in Hinblick auf die möglicherweise geleistete private Zuzahlung von Interesse. Diese kann sich über einen noch längeren Zeitraum besser amortisieren.

Der DSB sagt:

Abzulehnen ist aber, dass es im anderen Fall – einer Wiederversorgung wegen eines besseren Hörausgleichs aufgrund audiologischer Fortschritte – einer besonderen Begründung durch Versicherte oder Hörakustiker bedarf. Denn selbst in seiner einfachsten Interpretation – der sparsamen Mittelverwendung – gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot nur für den Vergleich zwischen zwei hinsichtlich der Zweckmäßigkeit, Angemessenheit, Qualität und Wirksamkeit gleichwertiger Alternativen.

Offensichtlich: Entscheidung nach Kassenlage

Leider können auch die weiteren Argumente der Krankenkassen nicht erklären, was sich gegenüber der Situation zuvor geändert hat. Sie sind auch wenig geeignet, die eindeutige Rechtslage zu entkräften. Letztlich liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine Entscheidung nach Kassenlage handelt, die ihre juristische Begründung noch sucht. Angesichts der klaren rechtlichen Situation erwartet der DSB auch nicht, dass andere Kassen dem Beispiel dieser Kassen folgen.

Zwar weisen die betreffenden Kassen in ihren Stellungnahmen darauf hin, dass sie auf Antrag und mit entsprechender Begründung die Kosten einer Wiederversorgung nach 6 Jahren übernehmen werden. Da dem DSB inzwischen ein Beispiel bekannt ist, wo eine solche Wiederversorgung selbst nach 10 Jahren abgelehnt wurde, stellt sich aber die Frage, ob dieses Versprechen ohne richterlichen Entscheid überhaupt einlösbar sein wird.

Empfehlung: Auf jeden Fall ärztliche Verordnung holen

Um bei der Antragstellung und auch in Hinblick auf eine mögliche anschließend anzustrengende Klage die dümmsten Fehler zu vermeiden, rät der DSB Versicherten der betroffenen Krankenkassen dringend, sich für eine Wiederversorgung auch nach einem Zeitraum von 6 Jahren unbedingt vom HNO-Arzt eine Verordnung ausstellen zu lassen. Denn das schlichteste Argument der Kassen – dass die HilfsM-RL nur die Verordnungsfähigkeit durch die Fachärzte (und nicht die Wiederversorgung durch die Hörakustiker) regelt – könnte ohne eine ärztliche Verordnung später vor Gericht tatsächlich den Anspruch formaljuristisch zu Fall bringen.

Darüber hinaus müssen sich Betroffene darauf einstellen, dass sie auf eine harte Ablehnung ihrer Kasse stoßen. Sie sollten das Verfahren möglichst schnell und schmerzfrei durch die Ablehnung von Antrag und Widerspruch bringen und ihren Anspruch am Ende vor Gericht zur Klage einreichen. Denn nur dort werden sie ihn durchsetzen können.

Eine Unterstützung finden Betroffene in Sozialfragen immer beim Sozialverband VdK

Neuauflage unseres Textes vom 15.02.2022

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