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Barrieren in deutschen Arztpraxen: Ein drängendes Problem für Menschen mit Behinderungen

Eine Frau sitzt in einem Rollstuhl

Die mangelnde Barrierefreiheit in deutschen Arztpraxen für Menschen mit Behinderungen. J

ürgen Dusel, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, machte kürzlich auf die strukturellen Benachteiligungen aufmerksam, mit denen diese Bevölkerungsgruppe nach wie vor konfrontiert ist. Überraschend ist dabei, dass trotz der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention vor 15 Jahren drei Viertel der Arztpraxen in Deutschland immer noch nicht barrierefrei sind.

Dusel betont, dass es hier nicht nur um die Belange von Rollstuhlfahrern geht, sondern auch um Menschen mit Seh- oder Hörbehinderungen sowie solche, die auf leichte Sprache angewiesen sind. Er stellt die Frage nach der gleichberechtigten Teilhabe an den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und mahnt an, dass auch Menschen mit Lernbehinderungen bestimmte Fähigkeiten zugeschrieben werden sollten. Leichte Sprache und Assistenz könnten diesen Personen ermöglichen, informierte Entscheidungen für ein selbstbestimmtes Leben zu treffen.

Deutschland wurde Mitte 2023 vom UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen gerügt, vor allem wegen der Diskrepanz zwischen der finanziellen Ausstattung des Gesundheitssystems und der fehlenden gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Dusel drängt die aktuelle Regierung dazu, den im Koalitionsvertrag verankerten Aktionsplan für ein diverses, barrierefreies Gesundheitssystem umzusetzen und bestehende Probleme anzugehen. Insbesondere fordert er eine Änderung im Behindertengleichstellungsgesetz, um die Barrierefreiheit von Arztpraxen zu forcieren.

Ein besonders kritisches Beispiel nennt Dusel im Bereich der gynäkologischen Praxen, von denen weniger als zehn in Deutschland für Frauen im Rollstuhl barrierefrei zugänglich sind. Dies führt dazu, dass Frauen mit Behinderungen bestimmte Vorsorgeuntersuchungen seltener in Anspruch nehmen. Dusel macht die Kassenärztliche Bundesvereinigung für diese Missstände mitverantwortlich und fordert eine professionellere Auseinandersetzung mit den Kriterien der Barrierefreiheit.

In diesem Kontext weist Dusel auf Österreich hin, das bereits vor Jahren festgeschrieben hat, dass Arztpraxen barrierefrei sein müssen und sogar Schadensersatzansprüche dafür vorgesehen sind. Er räumt jedoch ein, dass von bestehenden Einrichtungen keine zu schnelle Umsetzung der Barrierefreiheit erwartet werden kann, schlägt jedoch vor, bei Neuzulassungen entsprechende Vorgaben zu berücksichtigen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wehrt sich gegen die Forderung nach gesetzlichen Regelungen zur verpflichtenden Barrierefreiheit in allen Arztpraxen. KBV-Vorstandschef Dr. Andreas Gassen argumentiert, dass allein über 80 Kriterien für Barrierefreiheit existieren, bezogen auf sechs Beeinträchtigungsarten. Eine vollständige Umsetzung sei realitätsfern und würde mit erheblichen Kosten und bürokratischen Hürden einhergehen. Er verweist auf diverse Gründe für fehlende Barrierefreiheit, darunter konkurrierende Auflagen vor Ort, Brand- und Denkmalschutz, Gewerbeaufsichtsvorgaben sowie Vorschriften des Vermieters.

Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Ersatzkassenverbandes, unterstützt die Forderung nach mehr Barrierefreiheit und sieht sowohl gesetzgeberische Unterstützung als auch aktives Handeln der Selbstverwaltung als notwendig an. Sie hebt positive Beispiele hervor, wie das Einladungssystem für das Mammografie-Screening, das durch gesetzliche Aktivitäten und eine Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses erfolgreich umgesetzt wurde.

Die Notwendigkeit von Barrierefreiheit betont auch Stefan Schwartze, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten. Patientensicherheit müsse im gesamten Gesundheitswesen handlungsleitend sein. Er sieht den Gesetzgeber in der Pflicht, insbesondere hinsichtlich des Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetzes, das die selbstbestimmte Lebensführung von Patienten gefährden könnte. Rückblickend auf Pandemiemaßnahmen mahnt er zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und dazu, Betroffene in Entscheidungen einzubeziehen.

Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt betont die Fortschritte bei der ärztlichen Selbstverwaltung im Bereich der Patientensicherheit, sieht aber Verbesserungspotenzial bei der Inklusion von Menschen mit sensorischen und insbesondere Lernbehinderungen. Er ruft dazu auf, sich verstärkt für die Verbesserung der Inklusion einzusetzen und Barrierefreiheit aktiv herzustellen.

Insgesamt verdeutlichen die genannten Stimmen die Dringlichkeit, das Problem der mangelnden Barrierefreiheit in deutschen Arztpraxen anzugehen. Die Forderung nach umfassenden gesetzlichen Regelungen stößt auf Widerstand, aber gleichzeitig wird die Notwendigkeit von konkreten Maßnahmen und einem Bewusstseinswandel betont. Eine inklusive und barrierefreie Gesundheitsversorgung sollte nicht nur ein Ziel, sondern eine Selbstverständlichkeit in der modernen Gesellschaft sein.

Quelle: Medical Tribune

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  • Frau-im-Rollstuhl-ki: KI generiert

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