In der Apotheke meines Vertrauens gibt es ein Traubenzucker-Bonbon als Geschenk für artige Kinder. Und da ich nicht erwachsen sein möchte, bekomme auch immer immer ein Bonbon aus der Muh-Kuh.
Ja und das war schon immer so. Als ich ein kleines Kind war, also jetzt tatsächlich, da gab es beim Apotheker ein Tütchen mit ausländischen Briefmarken. Später bekam ich ab und zu eine Packung Papiertaschentücher oder eine kleine Produktprobe eines Fußbades oder auch schon mal ein Erfrischungstuch. Alles in allem also kleine Aufmerksamkeiten, über die man sich freut, die aber doch erkennbar von sehr geringem Wert sind.
Jedenfalls würde ich meine Entscheidung, ob ich nun diese oder jene Apotheke aufsuche, nicht davon abhängig machen, ob ich dort besonders oft oder besonders häufig solchen Firlefanz geschenkt bekomme. Es ist ein kleines Dankeschön des Kaufmanns, mehr nicht.
Das aber sieht der Bundesgerichtshof ganz anders
Am 6. Juni 2019 hat der Bundesgerichtshof (BHG) in Karlsruhe das lang erwartete Urteil zu diesen Apotheken-Zugaben verkündet.
Zur Verhandlung vor dem I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs kamen zwei Fälle. Die Wettbewerbszentrale hatte geklagt.
In der einen Klage ging es gegen Apothekerin aus Darmstadt, die ihren Kunden bei einer Rezepteinreichung Brötchen-Gutscheine schenkte.
Die andere Klage richtete sich gegen einen Berliner Apotheker, der Ein-Euro-Gutscheine ausgab.
Beides wurde von der Klägerin im Rahmen wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche gerügt.
Doch wurde im „Brötchen-Fall“ in der Vorinstanz zugunsten der Wettbewerbszentrale entscheiden und im Euro-Gutscheinfall zugunsten des Apothekers.
Jetzt sollte der Bundesgerichtshofs eine einheitliche Linie finden.
Und die Karlsruher Richter sehen das ganz eindeutig: Sie sehen ein generelles Zugaben-Verbot bei der Abgabe von Rx-Arzneimitteln.
Die Richter wiesen die Revision der Apothekerin im Brötchen-Fall zurück, während sie der Revision der Wettbewerbshüter im Fall des Ein-Euro-Gutscheins stattgaben.
Die Richter machen deutlich, weshalb sie in allen beiden Fällen einen wettbewerbswidrigen Verstoß gegen die geltenden Preisbindungsvorschriften sehen – und weshalb auch die europäische Rechtsprechung daran nichts ändert.
Bei einer Werbung für Arzneimittel dürfen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) nur angeboten, angekündigt oder gewährt werden, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 dieser Vorschrift ausdrücklich geregelten Ausnahmen vorliegt.
(1) Es ist unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren oder als Angehöriger der Fachkreise anzunehmen, es sei denn, dass
- es sich bei den Zuwendungen oder Werbegaben um Gegenstände von geringem Wert, die durch eine dauerhafte und deutlich sichtbare Bezeichnung des Werbenden oder des beworbenen Produktes oder beider gekennzeichnet sind, oder um geringwertige Kleinigkeiten handelt; Zuwendungen oder Werbegaben sind für Arzneimittel unzulässig, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die auf Grund des Arzneimittelgesetzes gelten;
- die Zuwendungen oder Werbegaben in
- a) einem bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag oder
- b) einer bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Menge gleicher Ware gewährt werden;
Zuwendungen oder Werbegaben nach Buchstabe a sind für Arzneimittel unzulässig, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die aufgrund des Arzneimittelgesetzes gelten; Buchstabe b gilt nicht für Arzneimittel, deren Abgabe den Apotheken vorbehalten ist;
- die Zuwendungen oder Werbegaben nur in handelsüblichem Zubehör zur Ware oder in handelsüblichen Nebenleistungen bestehen; als handelsüblich gilt insbesondere eine im Hinblick auf den Wert der Ware oder Leistung angemessene teilweise oder vollständige Erstattung oder Übernahme von Fahrtkosten für Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs, die im Zusammenhang mit dem Besuch des Geschäftslokals oder des Orts der Erbringung der Leistung aufgewendet werden darf;
- die Zuwendungen oder Werbegaben in der Erteilung von Auskünften oder Ratschlägen bestehen oder
- es sich um unentgeltlich an Verbraucherinnen und Verbraucher abzugebende Zeitschriften handelt, die nach ihrer Aufmachung und Ausgestaltung der Kundenwerbung und den Interessen der verteilenden Person dienen, durch einen entsprechenden Aufdruck auf der Titelseite diesen Zweck erkennbar machen und in ihren Herstellungskosten geringwertig sind (Kundenzeitschriften).
Die Deutsche Apotheker-Zeitung schreibt dazu:
Vorliegend lag jedoch ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG vor – und keine Ausnahme. Und das kann Unterlassungsansprüche begründen. Das Gericht führt in seiner Mitteilung aus, dass § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG der abstrakten Gefahr begegnen soll, dass Verbraucher bei der Entscheidung, ob und gegebenenfalls welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, durch die Aussicht auf Werbegaben unsachlich beeinflusst werden. Indem „entgegen den Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes“ gewährte Werbegaben generell verboten werden, solle zudem ein ruinöser Preiswettbewerb zwischen den Apotheken verhindert und eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sichergestellt werden.
Jede Zuwendung ist unzulässig – finanzielle Geringwertigkeit ist nicht entscheidend
Last but not least: Der Verstoß gegen das heilmittelwerberechtliche Zuwendungsverbot beeinträchtigt die Interessen von Marktteilnehmern auch spürbar. „Der Umstand, dass es sich sowohl bei einem Brötchen-Gutschein als auch bei einem Ein-Euro-Gutschein um Werbegaben von geringem Wert handelt, ändert daran nichts.“ Nach dem EuGH-Urteil war wieder die rechtliche Diskussion aufgekommen, ob die sogenannte „Spürbarkeitsschwelle“, die der Bundesgerichtshof einst annahm, wiederbelebt werden müsse, kleine Geschenke also doch erlaubt sein müssten.Doch der Bundesgerichtshof macht deutlich, dass hierfür kein Raum mehr ist, seit der Gesetzgeber im August 2013 das Heilmittelwerbegesetz so geändert hat, dass gerade diese ausgeschlossen sein sollte. Der Gesetzgeber sei dabei davon ausgegangen, dass jede gesetzlich verbotene Abweichung vom Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel geeignet ist, einen unerwünschten Preiswettbewerb zwischen den Apotheken auszulösen. „Die eindeutige gesetzliche Regelung, nach der jede Gewährung einer Zuwendung oder sonstigen Werbegabe im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG, die gegen die Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes verstößt, unzulässig ist, darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass ein solcher Verstoß als nicht spürbar eingestuft und damit als nicht wettbewerbswidrig angesehen wird.“ Kurzum: Auf die finanzielle Geringwertigkeit der Werbegabe darf man nicht abstellen, denn die Preisbindung ist nach dem Willen des Gesetzgebers strikt einzuhalten.
Es bleibt offen, wann sich die Wettbewerbshüter die Geschenke-Praxis der anderen Marktteilnehmer im Bereich der medizinischen Hilfsmittel annehmen. Mancher Hörakustiker hilft bei der Entscheidung für ein recht teures Hörgerät mit einer „großzügigen“ Gabe von Pflegeprodukten, Batterien usw., für die dem Kunden manchmal utopische Werte vorgerechnet werden. Jeder der im Bereich Gesundheit, Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsversorgung tätig ist, sollte seine diesbezüglichen Praktiken unbedingt auf den Prüfstand stellen.
Und was bedeutet das für mich und die Muh-Kuh? Zunächst einmal bleibt es dem Apotheker auch nach diesem höchstricherlichen Urteil unbenommen, beim Verkauf von nicht Rx-Produkten, also frei verkäuflichen OTC-Produkten, weiterhin seine Papiertaschentücher, Einkaufsbeutel und Fußbadproben zu verschenken. Ansonsten heißt es vielleicht: „Nehmen Sie doch noch ein Bonbon für 1 Cent, dann gibt’s noch was obendrauf…“
Bild: Collage PW/Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay/moakets Pixabay
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