Es sind Geschichten von Lärm, Leben und Überleben, die sich in den engen Gassen der Favelas von Rio de Janeiro abspielen – und es sind Geschichten von Hoffnung. Eine davon ist die Hörgeräte-Spendenaktion Peter Wilhelm, die im berüchtigten Favela-Komplex Lins von Ronald Wessels durchgeführt wurde, in einem der ältesten und größten Zusammenschlüsse informeller Siedlungen in der Nordzone der brasilianischen Metropole.
Ziel der Aktion: bedürftigen Menschen mit Hörverlust wieder Teilhabe und Lebensqualität schenken – in einem Umfeld, das von sozialer Not, aber auch von unglaublicher Solidarität geprägt ist.
Ein ungewöhnlicher Einsatzort
Der Komplex Lins besteht aus 13 Favelas, die sich terrassenartig an die Hänge des nördlichen Rio schmiegen. Hier leben rund 150.000 Menschen, oft unter schwierigen Bedingungen. Strom- und Wasserausfälle sind keine Seltenheit, ebenso wenig wie Gewalt, denn das Gebiet wird teilweise von bewaffneten Gruppen kontrolliert. Dennoch ist es für viele Bewohner Heimat – mit Nachbarschaft, Kultur und Gemeinschaftsgeist.

Etwa ein Viertel der Bevölkerung von Rio lebt in solchen Favelas. Es sind Orte, die offiziell nicht als Wohngebiete entstanden sind, sich aber längst zu lebendigen Stadtvierteln entwickelt haben. Wer dort lebt, ist nicht zwingend arm, aber häufig vom regulären Wohnungsmarkt ausgeschlossen. Entsprechend vielfältig ist die soziale Zusammensetzung – von einfachen Arbeitern bis hin zu Familien, die in bescheidenem Wohlstand leben.
Anreise mit Risiko – und System

Schon die Anfahrt zur Aktion war außergewöhnlich:
Die Helfer fuhren mit eingeschalteter Warnblinkanlage und heruntergelassenen Fenstern in Schrittgeschwindigkeit in die Favela ein – ein Sicherheitsprotokoll, um Missverständnisse zu vermeiden. Die Bewohner kennen solche Szenarien: Fahrzeuge mit geschlossenen Scheiben und schneller Fahrtgeschwindigkeit könnten im schlimmsten Fall als Bedrohung wahrgenommen werden.

Mehrfach begegnete das Team bewaffneten Motorradfahrern mit Sturmgewehren – Alltag im Schatten der „Bocas de Fumo“, den offenen Drogenverkaufsstellen, die die Macht der lokalen Drogenkommandos markieren. Die Helfer passierten eines dieser Häuser: heruntergekommen, ohne Türen oder Fenster, aber mit Wachen und sogar einer Preistafel am Eingang. Ein kurzer, intensiver Einblick in eine Welt, in der soziale Arbeit Mut erfordert.

Ankunft und Vorbereitung der Aktion
Am Ende der befahrbaren Straße erwartete das Team ein lokaler Helfer einer befreundeten NGO. Zu Fuß ging es weiter durch ein Labyrinth aus engen, teils nur 80 cm breiten Gassen und steilen Treppen. Nach rund 15 Minuten erreichten sie eine Halle, die einst eine Ruine war und heute als multifunktionaler Gemeinderaum dient – mit Strom, Licht, Beamer, Leinwand, Küche und kleiner Bibliothek. Ein Symbol dafür, wie viel Engagement und Eigeninitiative in diesen Gemeinden steckt.

Die NGO organisiert im Favela-Komplex Nachhilfeunterricht, Lebensmittelausgaben, Aufklärungsprogramme und Kulturveranstaltungen. Sie war es auch, die die Hörgeräteaktion in enger Abstimmung mit den Bewohnern vorbereitet hatte. Nach einer kurzen Begrüßung durch die Leiterin der Organisation wurden die Ziele der Spendenaktion erklärt – und das Team vorgestellt.
Hilfe, die ankommt
An diesem Tag wurden 21 Hörtests durchgeführt, vier neue Hörsysteme angepasst und mehrere defekte Geräte instandgesetzt. Insgesamt standen zwei mobile Audiometer zur Verfügung, betrieben von zwei Hörakustikern, einer Schreibkraft und Peter Wilhelm selbst. Die Menschen, die kamen, waren vorbereitet und voller Hoffnung – einige hatten seit Jahren nicht mehr richtig hören können.
Besonders bewegend: Der jüngste Teilnehmer war 11 Jahre alt, die älteste Person 75 Jahre.
Vier der Patienten benötigten stärkere Hörsysteme, andere kamen mit kleineren Reparaturen und Justierungen aus.
Einige der gespendeten Geräte stammten aus Rückgaben, andere aus der Sammelaktion in Deutschland, bei der ungenutzte Hörgeräte aufbereitet und für humanitäre Zwecke weiterverwendet werden.
Technik, Geduld und Empathie
Während die Messungen liefen, notierte die Schreibkraft die persönlichen Daten der Teilnehmer. Jeder erhielt eine individuelle Untersuchung – und wer ein Hörgerät bekam, bekam auch eine Einweisung zur Bedienung. Für alle, die Maßanfertigungen benötigten, wurden Ohrabdrücke genommen. Die Otoplastiken werden dann in Deutschland gefertigt und später in Brasilien angepasst.
Nach rund einer Woche werden die Hörgeräte dann in kleinen Gruppen feineingestellt. Dazu findet ein zweiter Termin statt, bei dem die Übergabe erfolgt. Jeder Hörgeräteträger erhält ein Merkblatt in portugiesischer Sprache über Pflege, Batteriewechsel, Reinigung und Aufbewahrung. Für viele ist das ihr erstes persönliches technisches Hilfsmittel überhaupt.
Emotionen, Begegnungen, Dankbarkeit
Es sind nicht nur medizinische Termine – es sind Begegnungen. Viele Teilnehmer erzählten ihre Geschichten: von Arbeitslosigkeit, von verlorenen Angehörigen, von der Schwierigkeit, mit einer Hörminderung in einer lauten, chaotischen Umgebung zurechtzukommen.
Manch einer hatte Tränen in den Augen, als er nach Jahren wieder Stimmen klar hören konnte.
Ronald Wessels beschreibt die Stimmung so:
„Die Menschen waren unglaublich herzlich und dankbar. Sie haben verstanden, dass es nicht nur um Technik geht, sondern um Würde, Teilhabe und neue Chancen.“
Mehr als eine Hilfsaktion
Die Spendenaktion war keine Einzelmaßnahme.
Zwei weitere Einsätze fanden in anderen Stadtteilen statt, jeweils in Kooperation mit lokalen Organisationen. Ziel ist, bis Jahresende weitere 100 bedürftige Schwerhörige mit Hörsystemen zu versorgen. Das Projekt wird rein ehrenamtlich organisiert, die Materialien stammen aus Spenden und ausgemusterten, aber funktionstüchtigen Hörgeräten aus Deutschland.
Ende des Jahres wird das Team erneut nach Brasilien reisen. Dann sollen weitere Messungen, Anpassungen und Nachversorgungen stattfinden – und hoffentlich auch ein kleines Folgeprojekt entstehen: ein lokaler Schulungskurs für Freiwillige, die einfache Wartungsarbeiten an Hörgeräten übernehmen können.
Hilfe, die bleibt
Was bleibt, ist weit mehr als der technische Nutzen. Es sind neue Kontakte, Vertrauen und Perspektiven. Für viele Teilnehmer bedeutet ein funktionierendes Hörgerät nicht nur besseres Hören, sondern ein Stück Selbstständigkeit, die Rückkehr in Gespräche, Gemeinschaft und vielleicht sogar in Arbeit.
Und für das Team rund um Ronald Wessels bedeutet es eine Bestätigung, dass Engagement dort, wo es kaum jemand erwartet, den größten Unterschied macht. Nicht nur für die Ohren – sondern für das Leben selbst.
Weitere Informationen
- Projektname: Peter-Wilhelm Hörgeräte-Spendenaktion
- Durchführung in Brasilien: Ronald Wessels
- Hörgeräte: überwiegend gespendet von Peter-Wilhelm und den Hörgeräte-Info.Net-Leserinnen und Lesern
- Ort: Favela-Komplex Lins, Rio de Janeiro
- Organisation: Ronald Wessels in Kooperation mit lokaler NGO
- Teilnehmer: 21 Personen getestet, 4 Geräte sofort angepasst
- Team: 2 Hörakustiker, 1 Schreibkraft, Ronald Wessels
- Ziel: Nachhaltige Hörgeräteversorgung für Bedürftige
Wer die Arbeit unterstützen möchte, kann gebrauchte Hörgeräte spenden oder das Projekt mit einer finanziellen Zuwendung fördern. Denn gutes Hören sollte kein Privileg sein – auch nicht in den Hügeln von Rio de Janeiro.
Hierzu gehört:
- Hilfe für Schwerhörige in den Favelas in Rio de Janeiro -1-
- Hilfe für Schwerhörige in den Favelas in Rio de Janeiro -2-
- Hilfe für Schwerhörige in den Favelas in Rio de Janeiro -3-
Bildquellen:
- brazil-641244_1280_800x500: gonzagas Luiz Gonzaga DE SOUZA auf
- favela2025-1: Gonz Alpacas
- Bildschirmfoto-2025-10-20-um-13.02.05_800x500: Google Earth ©
- favela2025: Symboldbild
- 20250222_103349_800x500: Wessels
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