Die Covid-19-Pandemie hat weitreichende Auswirkungen auf unser gesamtes Leben. Hörakustikmeister Alon Lavi, Inhaber von Hören2 in Mannheim, Edingen und Speyer hat bei seinen Kunden aber auch Auswirkungen auf das Gehör festgestellt: „Das ist etwas, mit dem wir vielleicht theoretisch gerechnet haben, aber das jetzt tatsächlich spürbar und auch messbar wird: Das Gehör der Menschen verändert sich.“
Lautere Sprache durch Maskentragen
Peter Wilhelm: Herr Lavi, Sie beobachten Veränderungen bei Sprechen der Menschen. Das ist erstaunlich. Man hört überall, dass die Leute durch die Masken alles schlechter verstehen. Wieso verändert sich das Sprechen?
Alon Lavi: „Jeder kennt das, wenn ein hörgeschädigter Mensch etwas schlechter versteht, fängt er selbst an, lauter zu sprechen. Dieses Phänomen beobachten wir jetzt auch bei Leuten, die gar nicht schwerhörig sind. Durch die Masken gehen circa 30% der Sprachinformationen verloren. Die Menschen verstehen ihren Gegenüber schlechter und fangen unwillkürlich an, selbst lauter zu sprechen. Das geht natürlich auf die Stimmbänder und Unterhaltungen werden zunehmend als anstrengender empfunden.“
Wichtige Frequenzen werden gedämpft
Peter Wilhelm: Bedeutet das nicht aber im Umkehrschluss, dass der Gegenüber wegen der lauteren Stimme seines Gesprächspartners nun alles besser hören müsste?
Alon Lavi: „Das ist ein Missverständnis, das sich auch in Bezug auf Hörgeräte hartnäckig hält. Es genügt einfach nicht, alles nur lauter zu machen. Dann hört man zwar mehr Lautstärke, aber das sagt gar nichts darüber aus, ob man auch besser versteht.
Peter Wilhelm: Wollen Sie uns das etwas näher erklären?
Alon Lavi: Gerne. Für das Sprachverständnis sind eher die hohen Frequenzen von Bedeutung. Außerdem ist es Unterscheidungsfähigkeit zwischen ähnlich klingenden Lauten, wie beispielsweise „s“ und „f“ oder „b“ und „p“, die Sprachverstehen ausmachen. Durch die Masken werden aber die hohen Anteile der Sprache gedämpft und übrig bleibt bloß ein dumpfes Gemurmel. Jetzt lauter zu sprechen erhöht nur die lauten Anteile des ohnehin schon unverständlichen Dumpftones. Ein Mehr an Sprachinformation wird so nicht erreicht.“
Peter Wilhelm: Was für Veränderungen hat die Pandemie noch gebracht? Sie sprachen im Vorgespräch von neuen Hörgeschädigten. Hat die Pandemie die Leute schwerhörig gemacht?
Alon Lavi: „Im Einzelfall hat es zwar tatsächlich Hörstörungen als Folge einer Covid-19-Erkrankung gegeben, aber das meine ich nicht. Wir beobachten aber, dass viele Menschen durch das Maskentragen jetzt zu ersten Mal merken, dass sie schlecht hören. Die gerade geschilderten Effekte sind die Ursache dafür, dass Menschen bemerken, dass ihre Ohren nicht wirklich gut funktionieren. Wir merken das an einer leicht gestiegenen Nachfrage nach Hörtests.“
Peter Wilhelm: Corona macht die Menschen also introspektiver. Das heißt sie hören mehr in sich hinein, achten in der Ruhe mehr auf sich und stellen in der Folge dann auch beispielsweise Hörprobleme fest. Wie sieht das denn in Bezug auf Tinnitus aus?
Alon Lavi: Ja, da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Für viele Menschen bedeutet der Lockdown und lange Zeiten im Home-Office, sowie die Zusatzbelastung durch geschlossene Schulen und Kitas auch einen enormen Streß. Dieser Streß, Existenzängste und finanzielle Sorgen können Auslöser für einen Tinnitus sein. Manchmal, so haben wir festgestellt, bestand ein Tinnitus auch schon länger, wurde aber durch die tägliche Arbeit sozusagen übertönt. Jetzt in der Zeit der Ruhe kommt er umso deutlicher zum Vorschein und wird von den Betroffenen bemerkt und der Leidensdruck entsteht.“
Peter Wilhelm: Die teilweise eingekehrte Ruhe ist also manchmal auch kontraproduktiv?
Alon Lavi: Das will ich so nicht sagen, denn Ruhe ist ja grundsätzlich erst einmal etwas Erholsames. Wir Hörakustiker empfehlen jedem, auch mal eine Hörpause zu machen und den Ohren einmal Ruhe beispielsweise in der Natur zu gönnen. Aber so ganz Unrecht haben Sie nicht. Denn wir stellen folgendes fest: Menschen, die es gewohnt sind, in lautstarker Umgebung zu arbeiten, haben sich während des Lockdowns an die Ruhe gewöhnt. Die Ohren und das Gehirn haben den Hörstress abgelegt und sich an die verringerten Umgebungsgeräusche gewöhnt. Umso dramatischer wird es, wenn diese Personen an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Sie empfinden den Lärm dort als viel lauter, als sie es vorher getan haben. Das führt bei einigen dazu, dass sie tatsächlich an diesem speziellen Arbeitsplatz nicht mehr bleiben wollen.“
Peter Wilhelm: Was raten Sie solchen Personen? Welche Ratschläge haben Sie überhaupt für Betroffene?
Alon Lavi: Es ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um einen Hörakustik-Fachbetrieb aufzusuchen. Wer glaubt, schlechter zu hören, soll einfach bei einem Hörakustiker vorbeigehen und seine Ohren testen lassen. Wer einen Tinnitus bei sich feststellt, sollte auch unbedingt vorbeikommen, wir können auch hier helfen. Personen, die jetzt unter zu lauten Umgebungsgeräuschen vor allem am Arbeitsplatz leiden, können wir mit Gehörschutz eine wirkungsvolle Hilfe an die Hand geben. Bei allen Problemen rund um’s Ohr, sollte man den Weg zum HNO-Arzt und zum Hörakustiker nicht scheuen.
Transparenzhinweis:
Der Autor dieses Artikels, Peter Wilhelm, und Hörgeräteakustiker Alon Lavi duzen sich normalerweise. Der Ordnung halber, ist das Interview aber in der Sie-Form geführt worden.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: Corona, folgen, infektion, krankheit, Nebenwirkungen, pandemie, spätfolgen